
circa 1925: Two women brave the lapping waves at their feet as they continue with their correspondence at the water’s edge. (Photo by General Photographic Agency/Getty Images)
Bin ich also eine Weile in der Schweiz, wo der Sommer…. lassen wir das. Ich wohne bei einer Freundin, die Schriftstellerin ist. Wir kannten uns schon ein paar Jahre, bevor ich erfuhr, dass sie an einem Roman arbeitete, der später den Rauriser Literaturpreis gewinnen würde. (Mein Lieblingssatz aus der Laudatio: “Aber keine Angst, es ist keine schwere Lektüre!”) Wir hatten also eine vom Schreiben unberührte Verbindung, bevor wir uns ausserdem als Berufskolleginnen erkannten. Oder Handwerkskolleginnen. Bis heute ist sie die einzige unter diesen, die ich als echten Freund bezeichne. Die einzige, mit der ich wirklich über das reden kann, was wir tun, was wir sind. Wenn wir über das Schreiben reden, reden wir über das Schreiben. Nicht über das Geschrieben haben, nicht über das Verkaufen des Geschriebenen. Nicht über die Aufnahme, die das Geschriebene erfährt oder nicht. Nein. Wir arbeiten, und dann treffen wir uns am Nachmittag in der Küche vor der Kaffeemaschine. Wir sehen aus wie zwei Wahnsinnige, die zu früh aus einem Traum geweckt wurden. Sie erzählt von einer nächtlichen Flucht durch den Wald, von Wildschweinen und Wölfe. Einer Frau im Rollstuhl, einer Freundschaft. Ich versuche, meiner autobiographischen Erzählung ähnlich hinreissende Momente abzugewinnen. Das ist nicht so einfach. Ich habe mich (ungern zwar, aber nur vorübergehend) von Luigi abgewandt. Mein Verleger wartet auf die Fortsetzung vom “Glück”. Und so schreibe ich gerade über die Zeit vor einem Jahr, als ich in genau dieser Küche sass, zwischen meinem Abschiedsfest, dem Räumen und Abgeben meiner geliebten Aarauer Altstadtwohnung und meinem One-Way-Flug in ein neues Leben. Es ist eine andere Art zu schreiben: Das Gerüst steht. Ich weiss, was passiert ist. Dieses atemlose Gefühl, das mich erfasst wenn ich während des Schreibens am Roman von der Schreibtischkante ins Leere trete, wenn sich die Geschichte vor meinen Augen aufrollt, während ich sie schreibe – dieses Gefühl, nach dem ich süchtig bin, stellt sich beim autobiographischen Schreiben nicht ein. IEs ist ruhiger, kontrollierter, aber nicht ohne Reiz. Wie ein Suchscheinwerfer kreise ich über dem weiten, dunklen Meer meiner Erinnerungen, verweile hier und dort etwas länger, leuchte etwas tiefer hinab. So wird die immer selbe Geschichte zu einer immer wieder anderen. Was war wichtig? Was ist es noch? Der Scheinwerfer verharrt heute an ganz anderen Stellen als noch vor einem Jahr. In meinen Tagebuchnotizen finde ich Momente, die ich bereits vergessen habe. Damals waren sie es. Gehören sie ins Buch? In diesen Schattenspielen, diesen Verwandlungen finde ich meinen Kick. Eine wahre Geschichte ist eine wahre Geschichte ist eine wahre…
Und so sitzen wir und trinken Kaffee und reden über Ereignisse und Menschen, die es gibt oder gegeben hat oder auch nicht, auf dem Papier, in der Erinnerung, in diesen Nebenwelten zu denen wir uns den Zugang erschreiben. Und ich denke: Wenn uns jetzt jemand hören könnte. Jemand, der nicht wüsste, dass wir Schriftstellerinnen sind. Der würde denken: Holy Guacamole, haben die aber ein reiches Leben! Das platzt ja aus allen Nähten!
Ja. So ist es. Und dazu stehen wir nicht mal vom Schreibtisch auf.