Anfängergeist

imagesIch fange also wieder von vorne an. Das kann ich gut. Da bin ich wie die Frau aus dem Witz, die das Rauchen aufgeben will und sagt: „Kein Problem, das kann ich, ich hab es schliesslich schon hundertmal getan!“ Ich fange gern von vorne an, immer wieder. Und ich meine jetzt nicht (nur) im Leben, so erfrischend ich es jedes Mal fand, mich an einem neuen Ort zurechtzufinden, und so gerne ich jetzt einfach hierbleiben und genau das noch einmal tun würde. Nein, ich meine das Schreiben. Neues Projekt, alles auf Anfang. Als hätte ich noch nie etwas geschrieben.

Ich fange in der dunkelsten Nacht an und arbeite mich zurück ans Licht. Die dunkelste Nacht musste ich erst erleben, hier erleben, im Bezug auf die Geschichte erleben, die ich erzählen will. Doch wo beginnt die Geschichte, und wo endet sie? Was gehört dazu und was nicht? Auf diese und andere Fragen hoffte ich im Workshop am letzten Wochenende Antworten zu bekommen – mit dem bekannten Ergebnis.

Es ist also auch beim Schreiben so: Je mehr man weiss, desto schwieriger wird es. Zu Anfang meiner schriftstellerischen Laufbahn durfte ich eine Serie von Frauenportraits für das Magazin schreiben, das damals noch Tagi-Magi genannt wurde. Unvergessen der damalige Chefredaktor, der bei den Besprechungen nur eines wissen wollte: „Ist das eine Knackige? Kann man die allenfalls auf den Titel nehmen?“ – „Klar doch!“ Es war meine erste Erfahrung mit echt lebenden Personen im Gegensatz zu erfundenen Figuren. Meine Interviewtechnik bestand darin, mir vorzustellen, ich sei ein einziges grosses Ohr. Die Gespräche dauerten meist Stunden. Ich liess ein Band laufen. Wenn ich es zuhause abhörte, wurde mir jedes Mal klar, dass der grösste Teil des Gesagten nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Und so löschte ich es. Ein befreundeter Journalist, eine Art Mentor, diagnostizierte richtig, dass auf diese Art nie eine grosse Journalistin aus mir werden könnte. „Auf diese Art“ – mit Respekt vor den Portraitierten? Die Reihe wurde dann auch beim ächsten Wechsel auf dem Chefredaktorenkarrussell abgesetzt – meine Texte waren zu wenig „knackig“. Vor lauter Rücksichtnahme blieben sie seltsam hölzern. Am besten sind mir die Portraits der Frauen gelungen, zu denen ich während des Gesprächs keinen rechten Draht finden konnte. Jahre später passierte mir dasselbe, als ich Magdalena Zschokke für die Annabelle interviewte – wir redeten sieben Stunden lang ununterbrochen, nichts davon fand seinen Weg in den Artikel, dafür wurden wir Freundinnen.

Heisst das nun für mich dasselbe? Je mehr ich über mich weiss, über mein Leben, desto schwieriger wird es, darüber zu schreiben? Die Geschichte endet in Santa Fe. Ich bin in Santa Fe. Jeden Tag passiert etwas, von dem ich denke, das gehört aber auch dazu. Ich knirsche mit den Zähnen, ich knurre vor mich hin, ich verfluche mich, ich fange an, meine Geschichte zu erfinden…. dann gebe ich auf. Statt diesen Blogbeitrag zu einer Zeit zu schreiben, in der meine treuen Leser und Leserinnen (hallo Regula! Hans!) noch wach sind, steige ich auf den nächsten Hügel und besuche einen Zenvortrag im Upaya Center. Ray Olson beginnt eine typische Geschichte: „Hoch oben auf einem Berg, vor dem Eingang zu einer Höhle, sitzt ein Meister im Schneidersitz. Ein Mann kommt mühselig den Berg hinauf geklettert, steht keuchend vor dem Meister und sagt…..“ Ray schaut auf, sein Blick geht ins Leere. Eine Kunstpause, denke ich. Aber die Kunstpause dauert ziemlich lange. Die Stimmung schwankt von erwartungsvoll zu nervös, die ersten rutschen auf ihren Kissen hin und her. Endlich fährt Ray fort: „… und sagt…. keine Ahnung, was der Mann sagt… vergessen! Gebt mir eine Minute, es wird mir wieder einfallen!“ Erleichtertes Kichern hier und dort, doch die Minute vergeht und Ray zuckt mit den Schultern. „Die Geschichte ist weg“, sagt er. „Sie wird mir später in der Sinn kommen!“

Und das tut sie dann auch.

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3 Kommentare

Kommentare

  1. Hans Alfred Löffler meint

    Ihr Mann brachte ihn im Auto, er wusste nicht wie er heisst. sie nannte ihn spontan Seppli. Aber die Zicken mögen ihn nicht, rammen ihm die Hörner in den Bauch. Seppli gehört halt nicht zur Familie entschuldigt Susy ihre Geissen, deshalb hatte sie ihn aus dem Stall geholt, an der Leine die ein Strick war. Schön sieht dieses 8-monatige Geissböckchen aus. Mir kommt Ted in den Sinn, oder auch Lukas, und all die Mütter und Töchter in Deinen Geschichten, aber auch Ferdinand und damit die Redensart, dass man den Bock nicht zum Gärtner machen soll – und umgekehrt auch nicht.

  2. Regula Horlacher meint

    Liebe Milena

    Ich protestiere.
    Gegen Migräne und gegen das Erlebenmüssen von dunkelsten Nächten.
    Gegen Tsu Namis und Wirbelstürme.
    Gegen das Überfahrenwerden von Kindern auf Strassen.
    Überhaupt gegen jede Art von Unglück.

    Ich fordere eine weltweite Amnestie für Froschkönige.
    Es sollen keine Frösche mehr an die Wand geknallt werden müssen, damit nachher alles besser wird.
    Frösche sollen Frösche sein dürfen und Prinzen Prinzen.

    Ich bin für Ostern ohne Karfreitag.
    Ich will, dass sich der liebe Gott endlich etwas Neues einfallen lässt, etwas Liebevolleres. Mit der Kreuzigung und der Opferung Isaaks haben wir uns jetzt lange genug herumgeschlagen.

    Streicheln statt Ohrfeigen.

    Ich hätte schon Ideen.

    Zum Beispiel bin ich überzeugt, es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, rechtzeitig fünfzig nachweisbare Leser deiner Bücher aufzutreiben und zu veranlassen, dir in diesem Blog glaubhaft zu versichern, dass deine Vorgehensweise beim Schreiben von Geschichten absolut richtig ist und du einen Outline-Kurs in keinster Weise benötigst.

    Ich träume auch oft von grossen Ohren

    Liebe Grüsse
    Regula

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