Geliebte Zwänge

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Ich danke euch allen für eure Anteilnahme an meinen Reiseplänen, für eure Anregungen, eure Unterstützung. Ich weiss jetzt schon ein bisschen mehr – aber ich werde mich an Trices guten Rat halten und nicht alles vorzu ausplaudern. Was natürlich die Frage aufwirft, warum ich dann diesen Blog weiterführe…. Ist ein Blog nicht genau das, ein vorzu-Ausplaudern jedes Gedankens, in Echtzeit? In dem Moment, in dem er entsteht? Im nächsten Moment verflogen, verworfen, das Netzt hält nichts fest, nicht auf Dauer. Schau mir über die Schulter, habe ich euch eingeladen. Was sieht man, wenn man über meine Schulter schaut? Meine Finger auf der Computertastatur. Gerade schreibe ich eine Spiegelgeschichte für ein Doppelheft zum Thema Love/Crime. Vor die Wahl gestellt, einen Krimi oder eine Liebesgeschichte zu schreiben, antwortete ich spontan: Beides. Ich schreibe dieselbe Geschichte zweimal, einmal so und einmal so. Die Idee ist nicht neu, sie ist sogar eine der ältesten und faszinierendsten Gedankspiele: „Was wäre, wenn…?“

Für Sans Blague, Magazin für Schund und Sünde haben wir einmal eine ganze Nummer so gestaltet. Von der einen Seite aufgeschlagen, konnte man schöne Geschichten mit glücklichem Ausgang lesen, ohne Tippfehler, klar gedruckt, von schönen Illustrationen begleitet. Drehte man das Heft um, endeten dieselben Geschichten traurig, die Texte waren voller Tippfehler, die Druckerschwärze verschmiert, die Illustrationen düster. Immer noch eines meiner Lieblingshefte. Es ist alles eine Frage der Wahrnehmung, lehrt die östliche Weisheit: Was zu beweisen war.

Das sei aber viel Aufwand, gab die Redaktion auf meinen Vorschlag hin zu bedenken, und der werde ja nicht einmal bezahlt… Egal, mein Spieltrieb ist wieder erwacht und das ist unbezahlbar. Die Teile von mir, die mit dem Roman beschäftigt waren, regen sich wieder. Ich habe wieder Lust, etwas auszuprobieren. Von der Schreibtischkante zu köpfern, ins Leere zu springen.

Diese Lust auf das Unbekannte wird mich auf meiner Reise begleiten. Hoffe ich. Doch erst muss ich noch einen winzig kleinen Ärger loswerden. Dass ich mich als „betroffene Frau und Mutter“ wie wir in den achtziger Jahren mit beissender Ironie gern sagten, einfach abmelden kann, ganze drei Monate lang, ist offenbar immer noch ein Thema. Oder wieder ein Thema? Denn in den achtziger Jahren wäre es wohl keines gewesen. Damals gingen wir selbstverständlich davon aus, dass die gesellschaftliche Veränderung in eine Richtung gehen würde, nämlich vorwärts… Ein Thema jedenfalls, das ich gründlich satt habe, und doch komme ich nicht darum herum. Weil ich eine …. siehe oben bin. Umgekehrt schwer vorstellbar: Wie, Sie fahren einfach weg, Herr Lappert, Herr Stamm? Haben Sie denn keinen Haushalt zu erledigen, keine Kinder zu betreuen, keine Topfpflanzen zu giessen, keine Katzen zu füttern, Herr Capus, Herr Dean? Nein – Sie sind ja Schriftsteller. First and foremost.

OK. OK. Tief durchatmen, den Impuls unterdrücken, das Alter meiner Söhne aufzuführen, meine reale Abwesenheitszeit auszurechnen, mich zu entschuldigen, zu rechtfertigen. Genug davon. Genug. Genug.

Die Sachzwänge, die wir gerne anführen, wir Frauen, die wir verfluchen, gegen die wir uns auflehnen, diese Zwänge geben uns auch Halt. Ich kann nicht weg, denn ich werde gebraucht. Ich kann nicht zur Tür raus, weil sonst hinter mir das Chaos ausbrechen würde. Ich würde ja gerne, aber ich kann nicht. Ich kann meinen Platz nicht verlassen – immerhin habe ich einen Platz. Die Sachzwänge in meinem Leben haben sich aufgelöst. Alles, was mich vor Jahren, als ich die Idee von diesem Roadtrip entwickelte, zurückhielt, ist nicht mehr. Manches habe ich bewusst abgelegt, anderes hat sich von selber gelöst, nicht immer nach meinem Willen und Wunsch. Manche Stricke waren schwer abzulegen, schmerzhaft, so tief hatten sie sich in die Haut gefressen. Sie haben Narben hinterlassen. Doch hier stehe ich nun und bin frei. Frei zu sagen: Ich mach mich dann mal auf den Weg. Auf die Suche.

Wonach? Nicht nach mir. Nach den anderen. Nach meinem Platz in der Welt. Nach neuen Zwängen?
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7 Kommentare

Kommentare

  1. Hans Alfred Löffler meint

    (Blog 21.4.2013; Geliebte Zwänge) «Es ist alles eine Frage der Wahrnehmung, lehrt die östliche Weisheit: Was zu beweisen war.»
    steht da oben, was mich darin erinnerte, das ich wusste, was Du mit der „östlichen Weisheit“ meinst.
    (Buch „Montagsmenschen“ ISBN-13: 978-3312004966 Seite 7) «Alles Leiden beruht auf einem Missverständnis: das Wahrgenommene mit dem Wahrnehmenden gleichzusetzen. Patanjali Yoga Sutra 2.17»
    Ich muss zugeben, dass ich dauernd an diesen Zeilen herumrätselte, d.h., das ich diese nicht richtig verstand, obwohl ich das Buch sicher schon mehrmals gelesen hatte (und immer wieder lesen werde, schon wegen Poppy ;-) und bestimmt auch wegen den Weisheiten.)
    Natürlich hätte ich fragen können, wen, wann, wo? Heute MUSSTE ich fragen, es darf doch nicht sein, dass Dein neues Buch vor meine Augen kommt und ich immer noch „ohne Verstand“ bin (und das schon seit Seite 7 von „Montagsmenschen“). Und? Heureka! Damit wünsche ich Dir alles Gute auf Deinem Weg zum „Schläckzüg“ – serieusement!

  2. Sofasophia meint

    @ isabel:
    ich mag diese deine geschichte. sie ist wunderbar erzählt und lässt mich selbst in ähnlichen und doch ganz andern erinnerungen schürfen, goldklümpchen entdecken, die ich damals für kieselsteine gehalten habe. danke!

    @ milena:
    noch immer sind frauen anders als männer. ich seufze mit dir und danke dir herzlich, dass du die dinge so klar benennen kannst. ob du von unterwegs bloggen wirst? das wäre wunderbar. aber eben … vielleicht ist es ja besser, wenn nicht. das vorzue erzählen, hat vor- und nachteile. wie auch immer: dass du eine inspirierende reise erleben kannst, hoffe ich sehr für dich.
    du machst mut, das hamsterrad zu hinterfragen. danke!

    ps: linkst du diese love-crime-story hier, wenn sie erschienen ist? das klingt super. auch das erwähnte heft … das tät ich mir gerne anschauen …

    • Milena Moser meint

      @ Sofasophia: Sans Blague ist leider nicht online – das Heft erschien Ende der achtziger, Anfang der Neunziger Jahre in einer Auflage von 250 bis 500 Exemplaren….Weiss nicht, wo man das noch finden könnte. Die Sondernummer von Surprise hingegen kriegt man dann bei den netten Strassenverkäuferinnen!

  3. Isabel meint

    Liebe Milena
    Die Sache mit dem liebsten Freund war schon hoffnungslos, bevor sie eigentlich begonnen hatte. Ich war sehr jung, er in der Lebensmitte, ich hatte die Eierschalen gerade erfolgreich abgestreift, er war bereits dabei, seine Wunden zu lecken, und doch war er mein liebster Freund zu der Zeit. Ich hing an seinen Lippen, wenn er seine Geschichten als einsamer Wolf erzählte, nie zu viel, so dass ich in Gedanken die Bilder weiter spinnen konnte. Er fuhr ein knallorange-rotes Auto, zwangsläufig Automatic, weil günstiger Gelegenheitskauf – nie hätten meine gleichaltrigen Freundinnen und Freunde zu dieser Zeit Automatic gefahren, viel zu sehr gesettelt. Mein liebster Freund scherte sich um solche Dinge nicht. Wir streiften miteinander durch die Gegend, wie ein Indianerpaar auf der Suche nach einem neuen Winterplatz. Ich liess es zu, wenn er mir fern war, kaum redete, weil er gerade seine nichtkommunikative Phase hatte. Kostete die Momente aus, in denen er sich für mich verantwortlich fühlte. War fast in Gefahr, seine nihilistische Weltsicht anzunehmen (Sätze wie: „Das Leben lebt “ beeindruckten mich irgendwie. Ich verstand sie nicht, aber eben – ich war ja noch jung, und schob es darauf.)
    Dann, eines Tages, sagte er, er müsse gehen. Ich hatte akzeptiert, dass wir kein richtiges Paar waren, das war ja auch viel zu normal. Aber ich hing doch an meinem liebsten Freund. Es tat weh. Und doch: Was er kann, dachte ich trotzig bei mir, kann ich ebenso.

    Tatsächlich schaffte ich es, dass ich Deutschland verliess, als er ging. Und ich kaufte sein Auto, das orangerote, automatic – mein erstes Auto, auf Pump. Bei dem manauf keinen Fall aus Versehen in den Rückwärtsgang schalten sollte. Was ich prompt an der ersten Ampel tat und es zum ersten Mal verspürte: das ‚Mein liebster Freund‘-Gefühl. Hat was Schutzengelhaftes, durchaus! Vielleicht wehte sein Geist noch in dem Auto!

    Unbeschreiblich, dieses Gefühl, als ich mit dem Auto, vollgepackt bis unter das Dach (es enthielt alle meine Habseligkeiten), Richtung Schweiz fuhr, in eine ungewisse Zukunft. Unbeschreiblich, als ich beim Zwischenstopp in Frankfurt ohne Stadtplan, ohne GPS (denn die gab’s damals nicht), in einer Millionenstadt, genau in der Strasse landete, in der eine Freundin lebte. Ich war hundertprozentig überzeugt: Mein liebster Freund war bei mir, auch später, als ich mich an die neue Umgebung, an andere Menschen gewöhnen musste. – Mein liebster Freund war zu der Zeit in Argentinien, teilte mit Indianern und anderen Aussteigern Kräuterpfeifen, und trotzdem: das Gefühl tat gut, seine Postkarte, auf der nicht viel, und dies noch in kryptischen Worten, stand, tat gut, bis ich selbst meinen Weg weiter gefunden hatte.

    Wen du wohl alles so mitnimmst, wenn du reist??

    Herzlich Isabel

    • BurgerTrice meint

      Es ist schon interessant, das Teilen unserer *Echtzeit* mit andern über Mail, Facebook, Blog, Skype, iPhone ……. wie ich nun auch sehe, und sie haben sich alle bereits so etabliert in unseren Köpfen, dass wir diese Art von durchaus liebevollen Kontakten untereinander vergessen haben zu hinterfragen: Tut uns dieses laufende Mitteilen überhaupt gut, ist es gut für unser Vorwärtskommen, gut für unsere Seele ? — Gut und nochmals gut, ich habe einen *guten* Teil meines Lebens schon hinter mir und kann sogar auf ein brennendes Thema, das Milena aufgeworfen hat, *Die-Frau und-Mutter-ist-dann-einfach-mal-weg …… *, bereits Bilanz ziehen. Daher kann ich mir nun nicht verkneifen etwas darüber zu berichten, aber nicht dass es den Anschein erweckt ich möchte mich damit brüsten, um Himmelswillen, nein ganz intuitiv und manchmal vielleicht auch naiv, wollte ich mich einfach über dieses alteingesessene Bild einer Frau und Mutter hinwegsetzen und wollte mich in regelmässigen Abständen ganz bewusst absetzen vom Familienleben, auch weil ich vielleicht unbewusst spürte in der Form von Angst und Enge, ich könnte mein eigenes ICH verlieren im Tohuwabohu des Familienalltags, den täglichen Pflichten, der Routine.
      Meine Auszeiten begannen mit zaghaftem *workshöppeln* Improfisations-Wochen in der alten Kirche Boswil, es gab die Jutta Klamt-Schule, dann einen 3-monatigen Aufenthalt in London um endlich Englisch zu lernen ( mit 43 ) , dann 7 Monate eine Stage in Lausanne bei Globus, eine lange Asienreise, 3 Monate Aix-en Provence am *Institut* und einer eigenen Wohnung dort, einige Wochenende in Venedig, Weinlese im Lavaux … usw. bis ich letztlich ganze drei Jahre ausblieb in Lutry, um ein Projekt zu verwirklichen, das sich aber in eine ganz andere Richtung entwickelte. — Während 40 Jahren Ehe mit 3 Kindern bin ich also immer wieder heil zurückgekehrt, wenn auch manchmal etwas *durchgebuddelt*. —Klar, man braucht einen Göttergatten, der einen gehen lässt und auch daran glaubt, dass wenn man den andern ziehen lässt, selber auch gewinnt … ! — Obwohl es eine ganz grosszügige Zeit war, wo ich aus dem Haus war, kommt sie mir jetzt objektiv als ein Nasenwässerchen vor, verglichen mit der Zeit, den vielen Jahren, in denen ich tatkräftig auf der Matte stand und mit meiner Familie tagtäglich lebte und sie liebte ….. !
      Heute, wo meine Kinder erwachsen sind, weiss ich auch, dass eigentlich niemand in der Familie durch meine Auszeiten gelitten hat, ausser vielleicht meine Mutter, sie hatte nie jemandem erzählt, dass ihre Tochter solche *Ausschweifungen* pflegt … ! — Nein, im Gegenteil: Meine Kinder danken mir noch heute, denn sie spüren, dass auch ich sie an der langen Leine lasse, weil man mich eben auch an der langen Leine ziehen liess. — Trotzdem ich war natürlich privilegiert: Der Vater meiner Kinder arbeitet seit jeher zuhause, und während meiner Abwesenheit lief alles nach Vaterplan, und das war für sie genau so OK, und für mich natürlich optimal ! — Und heute bleibt mir fast schon die Quintessenz meiner *kleinen* Fluchten als Frau und Mutter: Damit möchte ich alle Schuldgefühle der Absence-Frauen und besonders -mütter für nichtig erklären, und ich denke, dass sie in keinem Verhältnis stehen zu den Vätern, die jahrelang ihre Kinder vernachlässigen durch ihre Abwesenheit in Gedanken und Gefühlen ihrer Familie gegenüber, sich ihren Reisen im Berufsleben zuwenden, aber das Alltägliche verpasst haben.— Ich habe nie das Gefühl, ich hätte das Aufwachsen meiner Kinder verpasst, nicht erlebt, und mein Mann glänzte immer durch seine Anwesenheit in seinem Büro und in Haus und Garten, — und obwohl es für mich selbstverständlich gewesen wäre, aber er brauchte einfach keine solche Auszeiten wie ich. — Es wird ihm sicher nicht passieren wie vielen Vätern ( auch meinem Vater ! ) die erst als Grossvater erleben, Zeit haben, und auch geniessen können, Sprösslinge wachsen und heranreifen zu sehen ……. !
      In diesem Sinne, sei also vogelfrei auf deiner Reise, Milena.— Stellt euch vor, — so ein Blödsinn, — es sind ja nur kurze 3 Monate ( für Aussenstehende kaum spürbar — auch das noch ! ) aber für DICH selber von unschätzbarem Wert ….. !
      Take care of you in USA — Béatrice

    • Milena Moser meint

      @ Trice: Danke für dein Relativieren, Trice! In meinem Fall sind es ja auch nicht die Familienmitglieder, die sich durch meine Abwesenheit gestört fühlen. Es ärgert mich nur, dass ich immer wieder darauf angesprochen werde… In welchem Jahrhundert leben wir???

    • Milena Moser meint

      @ Isabel: Erst beim zweiten Lesen habe ich den Satz gefunden Ich war jung, ich schob es auf. Sehr schön, sehr wahr, auch in ganz anderem Kontext!
      Danke für dein Mit-Schreiben!
      Milena

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