Kill your darlings (again!)

602022_579711405372333_159783617_nLetzte Woche wollte jemand meinen Verleger umbringen. Jedenfalls eher den Verleger als eine Romanfigur, konkret den schönen Dr. Mizrahi. Welcher ja überlebt hat. Deshalb heute ein paar Worte zum Lektorat: Es ist so wichtig. Es ist unverzichtbar. Es ist ein Geschenk.

Wenn es gut ist. Wenn nicht… nicht.

Gerade beim ersten Buch scheint die Vorstellung unerträglich. So lange hat man gearbeitet. Alles, was man hat, tränkt diese Seiten, alles, was man ist, liegt in diesen Worten. Jahre eines Lebens. Und jetzt sollen wildfremde Menschen kommen und mit schweren Schuhen durch dieses Feld trampeln, mit grobem Werkzeug umstechen, pflügen, rechen? Über meine Leiche! „Kein Maler würde sich von seinem Galeristen ins Bild pinseln lassen!“

Nein. Aber der Maler hat den unermesslichen Vorteil, dass er sein Werk mit einem Blick erfassen kann. Wenn er nur einen Schritt zurücktritt, oder zwei. Selten hat er ein Jahr oder zwei oder sieben an diesem einen Bild gearbeitet. Er weiss – meist – wo er aufhört, und wo die Leinwand beginnt. Wir hingegen, wir haben uns im Wald verloren. Wir sehen nur noch die einzelnen Stämme, auf Augenhöhe, wir kennen jede Narbe in der Baumrinde, jedes Astloch, wir klammern uns an ihnen fest. Jetzt kann uns nur ein ungerührter Blick helfen, eine unbestechliche Hand, die uns ein bisschen weiter weg führt. So weit, dass wir nicht nur die Bäume über ihre Stämme hinaus bis in die Wipfel sehen können, sondern den ganzen Wald.

Ein Beispiel. Nevada und Dantes erste Verabredung. Das Restaurant ist voll, die Stimmung angespannt, der Abend droht zu entgleisen.

An einem Tisch in der Mitte sassen vier junge Frauen, die sehr laut lachten. Ihre Blicke schossen wie Pfeile durch den Raum, prallten an den Paaren ab, streiften immer wieder Dante. Ein schönes, gutgekleidetes Paar sass schweigend da.  Beide mit einem Handy beschäftigt. Er fotografierte das Essen auf seinem Teller, sie tippte Nachrichten ein. Ihr Lächeln fiel nach unten, auf das Gerät, es erreichte die andere Seite des Tisches nicht.

Das junge Paar am Nebentisch lernte sich erst kennen. Sie umkreisten sich gegenseitig mit vorsichtigen Fragen. „Wo verkehrst du denn sonst so?“ „Isst du Fleisch?“ „Wie sieht für dich ein perfektes Wochenende aus?“

Hinter jeder dieser Fragen verbarg sich eine zweite Frage, eine dritte. „Passt du in mein Leben?“ „Kann ich mich auf dich verlassen?“ „Verdienst du mehr Geld als ich?“ „Meinst du es ernst?“

Der Verleger streicht das junge Paar, den doppelten Dialog. Ich schmuggle sie wieder hinein, denn ich hänge an diesem Abschnitt, ich bilde mir etwas auf ihn ein. Hab ich das nicht messerscharf beobachtet? Vielleicht. Der Verleger erwischt mich dabei und merkt, dass er mir erklären muss, was er meint: „Beim Date im Restaurant habe ich noch mal den Dialog von dem jungen Paar am Nebentisch gestrichen. Es ist total unplausibel, dass Nevada da hinhört, wo sie gerade so mit Dante beschäftigt ist. Die Beobachtung schweifender Blicke ist okay, aber einen Dialog über einen längeren Zeitraum – bin ich dagegen.“

Arrrrggghhhhhhhh!!!!!! Er hat Recht. Gut beobachtet oder nicht gut beobachtet: Es gehört einfach nicht hier her. „Kill your darlings, kill your darlings, even when it breaks your egocentric little scribbler’s heart, kill your darlings…” (Stephen King – Experte im Töten)

Das ist ein gutes Lektorat. Ein schlechtes macht aus meiner zwinglianischen Heimatstadt Zürich eine lutheranische. Von wegen Helvetismus, you know. Und hier zum Weiterlesen noch die Geschichte von Raymond Carver und seinem Lektor: Ohne Kommentar.

 

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Leser-Interaktionen

7 Kommentare

Kommentare

  1. Hans Alfred Löffler meint

    Chemiker denken meist eher an Moleküle als an Elemente, ganz ähnlich wie ein Schriftsteller, die/der nicht an die einzelnen Buchstaben denkt, sondern an Wörter. EINE KURZE GESCHICHTE VON FAST ALLEM von Bill Bryson (Kapitel 9 «Das mächtige Atom» Seite 153).

  2. Isabel meint

    Lieblingsgeflüster

    Regula hat mir einen Stolperstein in den Weg gelegt – lässt sich unterscheiden zwischen Schreiben und literarischem Schreiben? Ist nur das Geschichtenschreiben ‚richtiges Schreiben‘ und ein kreativer Vorgang? Ist es unliterarisch, unkreativ, Texte zu verfassen, die keine Geschichten sind?

    In der Musik gibt es die Arbeit an den Noten, das ‚Lesen‘ des Notentextes. Dann gibt es das Ringen, um ein inneres Bild von der Musik in das hörbare Klangerlebnis zu bringen. Es gibt das Umspielen des Notentextes, das zärtliche Empfinden den Noten und dem Instrument gegenüber, das Spielen mit der Dynamik, die unterschiedliche Betonung. Das Spielen mit den Zuhörenden, in dem Noten gedehnt oder einen Hauch kürzer gespielt werden, das Spielen von kurzen Melodiestücken, die ein Lächeln hervorzaubern können oder unmittelbar Tränen hervor locken können.

    Mit den Worten gibt es das auch. wenn man Buchstaben und Wörter ernst, verantwortungsvoll, zärtlich, fordernd, anschmiegsam genug verwendet. Die Tonaität will verstanden werden, ob im SMS, in einem Protokoll, in einem Leserbrief, ob als Websitetext. ‚I will tell you a story…‘ als ein modernes ‚Es war einmal‘ ist ein Geheimrezept, um Texte des ’nüchternen‘ Lebens schmackhaft dar zu stellen. Ist nicht alles nur Geschichte? Stop-and-go- Protokolle (ich nenne sie Stechschrittprotokolle) sind ein wahrer Fundus für Spekulationen. Bei diesen so nüchternen Texten tanzen die Affen nur so hin und her, und es kann durchaus vorkommen, dass man dazu aufgefordert wird, zu widerrufen (!!!), aber sofort (!!!) (vermutlich, weil sich die Welt sondst anders herum drehen könnte…)

    ‚Jeder erkennt im anderen die Schwingung, die er selbst in sich spürt‘, ein Satz, der Hermann Hesse zugeschrieben wird – Geschichten sind überall zu finden, wo sich Wörter umeinander schlingeln.

    Liebe Grüsse, an Milena und ihre Darlings (die sicher in transzendiertem Zustand exhumiert werden, früher oder später) und an Regula, und an Ursula, hinter der ich zufällig im Kino gesessen bin, und an Barbara (bist du eigentlich noch da??) und Anna (was um Himmels Willen macht Scarlett?)

    • Milena Moser meint

      @ Isabel: danke für diesen Vergleich! Ich zitiere dich immer wieder in meinen Kursen, du weisst schon, wegen dem Üben, wegen den Tönen, die zum offenen Fenster rausfliegen, und dem Glück, das trotzdem dabei entsteht, auch ohne Publikum. Du würdest nie sagen: Ich lang die Tasten nur an, wenn das Klavier auf der Bühne der Tonhalle steht! Warum sollte also nur das Schreiben zählen, das veröffentlicht wurde?
      Den Unterschied zwischen Schreiben und richtigem Schreiben hab ich bis heute nicht kapiert. Was immer wieder interessante Diskussionen auslöst…

  3. BurgerTrice meint

    Liebe Milena,
    — nun, da ich dir so lange über die Schultern schauen durfte und du es nun geschafft hast mit deinem Talent und deiner Disziplin dem Lektor deine *Frau* zu stehen, dein neues Buch auch bald veröffentlicht wird, gratuliere ich dir von ganzem Herzen ! — Du hast dir deine Lorbeeren schon jetzt mehr als verdient ! Weisst du, — für mich ist das kaum nachvollziehbar, dein Kämpfen und Durchbeissen, ( ich sehe noch die zwei korrigierten Seiten aus *Ja, aber* ….. vor mir ) und weiss eigentlich nicht wie tief ich mich vor dir verbeugen soll, eigentlich nicht verstehen kann, dass dir die Freude am Schreiben nicht verloren ging — irgendwann unterwegs !
    Ich denke für mich, — das *Korrigiertwerden* und *Weglassenmüssen* der eigenen Texte, den Lektor als permanente Einmischung im Hintergrund erleben zu müssen, und auch ein Vorlesen der eigenen Texte mit eigener Stimme, wäre für mich persönlich schlichtweg nicht zu ertragen. Deshalb habe ich mich wahrscheinlich auch für das Schreiben im stillen Kämmerlein entschieden … ( mit wenigen zaghaften Ausnahmen ) — Ich bin dem eigenen Anspruch an die Texte nicht gewachsen, verliere mich in ihnen und korrigiere, verändere sie ständig: Da noch eine bessere Formulierung, ein Adjektiv mehr, eine andere Variante ….. und dann noch der Klang und der Fluss der Sätze ….. ( ich bin ja noch Musikerin, da existieren die gleichen Muster wie beim Schreiben, wie auch beim Kochen und den Sprachen, dem Möbelstreichen und der Möblierung im Haus, im Garten ) — und während ich mir die Geschichte laut vorlese, kremple ich sie schon wieder um —haarsträubend ! — Wo doch du mich auch ein paar Mal an der Hand genommen hast, (wie viele andere auch , offenbar ….. ) und dafür werde ich dir auch ewig dankbar sein …….. !
    Aber du gehst da so souverän , — wenn auch nicht unverletzt — deinen Weg und bleibst rigoros und im wahrsten Sinne des Wortes mit Leib und Seele Schriftstellerin. ….. Ich kann dir nur sagen —Chapeau ! —und mach weiter so !
    Béatrice

    • Milena Moser meint

      @ Trice: Danke, danke, zu viel der Ehre! Ich erinnere mich sehr wohl, dich vorlesen gehört zu haben, und nicht nur in unserem kleinen Rahmen um meinen Tisch! Du bist doch in Luzern aufgetreten!

    • BurgerTrice meint

      Ja, — stimmt. Ein einziges Mal in Bern im Rahmen des Novemberschreibens. — Genau, damals hatte ich schon während des Lesens Wörter ausgewechselt, Sätze verlängert, Adjektive dazwischen geschoben, sogar Bemerkungen eingeflochten ….. und meine Stimme kam mir so etwas von fremd vor…. Weiss nicht, es war ein zu lockerer Text, aber ich erinnere mich, dass einige sehr originelle Texte gelesen wurden, die vielleicht alle schubladisiert wurden — schade eigentlich ! — Aber ich bin einverstanden: Schreiben macht glücklich ….. vor, während, nachher oder lange, lange danach …. wie auch immer !
      Grüsse Béatrice

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