Ja, aber….

Einleitung-Abbildung-1Nein, ich bin immer noch nicht fertig! Je mehr ich schreibe, desto mehr scheint noch zu fehlen. Unterdessen habe ich aber eine Antwort von meinem Verleger bekommen. Sie lautet im Wesentlichen: „Ja, aber…“ Das heisst, grundsätzlich gefällt ihm der Text, aber seine Einwände füllen eine ganze Seite. Und jetzt kommt’s: Ich habe diese Seite begierig gelesen. Ich habe mich richtig auf sie gestürzt. Dabei habe ich gemerkt, wie sehr ich auf diese Stimme von aussen angewiesen bin. Bestätigt sie meine nagenden Zweifel? (Zum Teil.) Erkennt sie, worum es mir geht? (Ja.) Fordert sie mich zum Widerspruch, und macht mir so noch klarer, worum es mir wirklich geht? (Auch).

Diese Phase, in der man auf die Reaktion des allerersten Lesers wartet, ist eine spannungsgeladene und entscheidende. Jetzt zeigt sich, wie weit man wirklich ist. Dabei ist nicht die Stimme von aussen relevant, sondern die eigene Reaktion auf diese Stimme. Wenn man jetzt eigentlich nur mit einem aufmunterndem Schulterklopfen umgehen kann, mit einem tröstlichen „Weiter so“, dann ist man noch nicht bereit für die Öffentlichkeit. Denn diese wird nicht, wie der (hoffentlich) geneigte und gut ausgewählte Erstleser, mit einfühlsamer und konstruktiver Kritik reagieren, sondern einen ungefragt mit allen eigenen Projektionen überschütten. Um das auszuhalten, muss man sich schon sehr sicher sein. Nicht im Sinn von „Ich bin ein verdammtes Genie und wer das nicht erkennt, ist ein ungebildeter Banause!“ sondern: „Das ist die Geschichte, die ich erzählen will. Genau so, wie ich sie erzählen will. Take it or leave it!“

Diese Sicherheit erringt man nicht durch das Schreiben allein. Sie wächst in der Auseinandersetzung.

Gewisse nagende Zweifel haben sich bestätigt. Zum Beispiel die Frage, muss die Missbrauchserinnerung, die Nevada am Ende von „Montagsmenschen“ einholt, wieder aufgewärmt werden? Instinktiv wollte ich es sein lassen. Dann dachte ich an die Wiederholungstäter unter den Leserinnen: Würden sie sich nicht fragen, wie Nevada mit dieser Erinnerung lebt? Ist es nicht wichtig, zu zeigen, dass ein solcher Stempel nicht das ganze Leben, jeden Tag beeinflussen oder gar beeinträchtigen muss? Also habe ich diesen Askpet durch die Geschichte mitgezogen, wie einen weiteren bunten Faden. Der irgendwie im ganzen Gewebe störend wirkte. Der Verleger findet: Weg damit. Es reicht, dass Nevada mit ihrer fortschreitenden Behinderung lebt. Er denkt dabei an die anderen Leser, die mit diesem Buch einsteigen. Das zeigt auch, einmal mehr, wie wenig Sinn es macht, für die Leser zu schreiben. Am Ende geht es nicht um sie, die Leser, sondern um die Figur, um Nevada.

Eine andere Erinnerung, eine von Erika, die für mich zentral ist, an der die Geschichte kippt, hält er für überflüssig. Lustig, dass er gerade diese Kapitel als unrealistisch und überzeichnet empfindet, die ich ziemlich eins zu eins aus meinem eigenen Leben gepflückt habe. Um diese Schlüsselszene, die nur unter dem absurden Druck der „march madness“ ans Licht kommen konnte, werde ich bis zum Letzten kämpfen, das weiss ich jetzt schon.

Andere Fäden hängen noch in der Luft. Das ist mir erst durch seine Reaktion bewusst geworden. Einige dieser Fadenenden empfindet er als störend, er empfiehlt, sie herauszuschneiden. Etwas in mir wehrt sich dagegen. Die brauch ich aber noch, denke ich. Ach ja? Wozu? Und plötzlich weiss ich, dass die fiese Sozialarbeiterin in Sierras Bordell für Frauen landen wird. Nur noch nicht, wie. Das meine ich mit: Je mehr ich schreibe, desto mehr fehlt.

Zum Scluss noch eine Schüleranbfrage mit dem Titel: Blondinenträume – Hilfe!

Guten Tag Frau Moser,

in der Schule muss ich eine Werkanalyse über ihr Buch schreiben. (…) Und könnten sie mir vl ein paar Stilfiguren nennen, die im Buch vorkommen? Wie zum Beispiel Ellipsen, etc

Dankeschön im voraus

Mfg

emil-meerkaemper-originalfoto-davos-eiskunstlauf-wintersportStilfiguren??

Über die neuesten Blogbeiträge informiert bleiben

  • Dieses Feld dient zur Validierung und sollte nicht verändert werden.

Leser-Interaktionen

8 Kommentare

Kommentare

  1. Hans Alfred Löffler meint

    Ich «möchtegern» zur Figur, oder zu den Figuren um die es geht etwas schreiben, nämlich: Mir scheint, dass dieser «Erstleser» nicht gerne gestört wird, oder einfach keine Zeit zur aufbringen will um ein bisschen zu «relaxen», Umwege in Kauf zu nehmen um die Geschichte zu «kosten» . Wie schön ist es doch, mitten im schwarz-auf-weiß Geschehen an einem farbigen Faden zu ziehen der den Status eine Fußnote einnimmt, d.h. womöglich der Leserschaft Zusätzliches oder sogar Hintergründiges vermittelt wie die Würze im köstlichen Gericht. Es geht um die Figur, um Nevada von welcher geschrieben steht: «Sie hätte so gerne den Namen einer Heiligen getragen. Lieber als den einer Bergkette.»

    • Hans Alfred Löffler meint

      Danke sehr Milena, jetzt habe ich wieder einen Beruf: «Leser / Reader», hauptberuflich! Es ist mir ganz ernst mit dieser, Deiner «Titulierung». Soeben hatte ich ein dickes Buch fertig gelesen, es liegt neben mir auf dem Tisch, upside down und ich lese: «Ich wäre sehr glücklich, könnte ich durch meine Arbeit ein Brückenbauer zwischen Ost und West sein.» (Ivo Andrić)

    • Hans Alfred Löffler meint

      eine andere Folge wäre, nach einer bereits 5ten oder 6ten Durchlesung zu „vemelden“, dass auf Seite 237 gedruckt steht: / «Ah ja!» Der Mädchen wirkte erleichtert: Es war ihr noch etwas eingefallen. Darf ich das so schreiben, an wen? Oder ist es gar nicht falsch, niemandem aufgefallen? Für mich lese ich es einfach so: / Das «Ah ja!» der Mädchen wirkte erleichtert: Es war ihr noch etwas eingefallen.
      Und der Schluss, als das Handy klingelte … das ist „das Wahre“ an der Geschichte, am Roman.

  2. Corinne meint

    Wenn ich dann mal so weit bin, ein Manuskript an einen Verlag zu schicken, werde ich tausend Tode sterben, bestimmt. Um das auszuhalten, muss ich meinen Text vorher von anderen Leuten lesen lassen, um zu sehen, wie er bei ihnen ankommt. Auch auf die Gefahr hin, dass jeder Leser wieder etwas anderes bemängelt, ihm etwas anderes gefällt oder auffällt. In Vielem sind sich meine Versuchskaninchen aber auch einig. Den Blick durch ihre Brille hilft mir, meinen Text kritisch zu hinterfragen und, wie du auch sagst, damit fertig zu werden, dass nicht alle gleich in Jubel ausbrechen. Im Gegenteil, nur die Kritik bringt mich weiter. Auch wenn ich im ersten Moment protestieren möchte und rufe: „Aber so habe ich das nicht gemeint“, „aber das ist doch sonnenklar“, „aber gerade das hat mir so gut gefallen“, fange ich nach einem ersten leer Schlucken an, meinen Text zu analysieren und widerstrebend muss ich dann meist zugeben, dass was dran ist, an der Kritik.
    Der Text, den wir da in die Welt hinaus schicken, und sei es nur über den Tisch zum Partner, ist ein Stück von uns selber und Kritik empfinden wir dann zuerst als Kritik an uns, was schmerzt, aber wenn wir nicht wollen, dass er kritisiert wird, dann darf ihn nie jemand lesen, aber dann sieht auch niemand, wie gut er schlussendlich geworden ist.

    • Regula Horlacher meint

      @Corinne: Genau, und das wäre jammerschade! Ich würde ihn mögen, das glaube ich bestimmt.
      Vielleicht hast du ja schon einmal ein wenig in diesem Blog herumgestöbert und zufällig gesehen, dass ich mich im Moment mit den Sprüchen vom Abreisskalender, der im Altersheim hängt, wo ich arbeite, gefühlsmässig über Wasser halte.
      Hier der vom 2. Dezember 2012. Ich habe ihn mir abgeschrieben, weil er mir besonders gut gefallen hat. Er ist von Franz von Assisi und lautet:
      „Beginne damit, das Nötige zu tun. Dann tue das Mögliche und plötzlich tust du das Unmögliche.“
      Wenn irgendjemand berechtigt ist, einen solchen Ratschlag zu erteilen, dann er, finde ich :-)
      Ganz liebe Grüsse
      Regula

  3. Gise Kayser-Gantner meint

    Liebe Milena,
    ich will sofort noch einmal Schüler sein, wenn ich Deine Bücher lesen und besprechen muss!
    Du lieber Himmel, beim Anblick Deines „Korrekturblattes“ fallen mir gleich meine Mathearbeiten ein und die Gefühle, die ich für diese Blätter und ihre Noten hegte. Du bist hart im Nehmen, wenn Du da nicht schwächelst. Respekt! Selbst Roland verschlug es bei einem Probelektorat den Atem. Aber gut, dass Du es jetzt gezeigt – und wie immer – die Druckluft rausgenommen hast. Das macht es einfacher – theoretisch. Ich verspreche, tapfer zu sein – und hinfallen ist nur schlimm, wenn man liegen bleibt. Hoffentlich helfen mir dann diese Sichtweisen, wenn es denn mal so weit ist. Aber ich kann nicht anders, ich muss wohl durch! Bin auf gutem Wege. Es hilft, wenn ich mich erinnere an den ersten Schreib-Marathon, der ja auch im Januar begann. Liebe Grüsse, Gise

An der Diskussion teilnehmen

Hier können Sie Ihren Kommentar schreiben. Ihre Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * bezeichnet.