Es ist Zeit.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt keinen Roman hat…?

Draussen schneit es. Ein perfekter Tag zum Schreiben. Eine Kolumne, sechs Radiogeschichten, einen Roman. Ich wiederhole mich. Ich versuche zu rechnen: Wieviele Tage hat das Jahr noch? Was fehlt mir noch? Wann müsste ich meinem Verleger anständigerweise Bescheid geben, dass ich den Abgabetermin wohl doch nicht einhalten kann? Was kosten die Flüge nach Lissabon, ist die Wohnung meiner Freundin dort mein magischer Schreibort geworden, der einzige, an dem diese vollkommen anstrengungsfreie Art zu schreiben möglich ist? Denn, wie befürchtet, wie geahnt, hielt dieser beseelte Schreibfluss den Anforderungen des Alltags nicht stand. Geblieben ist aber eine gewisse Leichtigkeit. Obwohl der Termin immer näher rückt, der Druck also immer grösser werden müsste, wächst statt dessen die Gewissheit: Es ist alles da. Du musst es nur noch aufschreiben. Hier halte ich inne, warte auf das brüllende Gelächter, die hämischen Kommentare („NUR???“ „NOCH???“) der Affenschar, die in meinem Kopf wohnt. Doch da ist nichts. Die Affen schlafen. Dicke Schneeflocken rieseln auf sie nieder, sanft und stetig, und decken sie bald ganz zu. Wie seltsam, denke ich. Diese Stille, die der erste Schnee verursacht. Wo war ich noch gleich? Ahja. Es ist alles da. Jetzt muss ich es nur noch aufschreiben.

Wann? Heute zum Beispiel. Heute ist der Tag eine Stunde länger. Das sollte reichen. Sollte man meinen. Ich nehme meine Agenda hervor und male die grünen Felder, die dem Schreiben vorbehalten sind, ein bisschen grösser. Male sie über geplante Mittagessen und Yogastunden drüber. Und während ich so vor mich hin male, fällt mein Blick auf das Datum. Es ist Ende Oktober. Und nach dem Oktober folgt….

Der November! Wie konnte ich das vergessen! November ist National Novel Writing Month!

Ich schreibe mich sofort ein – unter dem Namen Mimosa Mein, falls jemand meine Fortschritte auch dort verfolgen möchte. Nicht, dass meine Geschichte jetzt noch 50’000 zusätzliche Worte brauchen würde, nein. Aber ich, ich brauche gerade jetzt die Unterstützung von 300’000 anderen Schreibenden, die alle irgendeinen Alltag haben, die alle ganze Affenfamilien in ihren Köpfen beherbergen, und die alle doch die Zeit finden, um zu schreiben. Jeden Tag. Die Zeit, und die Lust. Gerade jetzt, in der einsamsten Zeit, brauche ich diese Gewissheit: Ich bin nicht allein.

Ach, und diejenigen unter euch, die befürchten, dieser Blog sei mit dem Manuskriptabgabegermin beendet, seien beruhigt: Was ich jetzt schreibe, was ich abzugeben hoffe, ist nur die erste Fassung. Ich habe versprochen, euch bis zur Veröffentlichung über meine Schulter schauen zu lassen. Und da nichts schwieriger zu beschreiben ist als das Schreiben, kann ich euch jetzt schon versprechen: Das Beste kommt erst.

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11 Kommentare

Kommentare

  1. Jacqueline meint

    Wie schön zu lesen, dass Schriftstellerinnen mit den gleichen Problemen kämpfen. Ich sollte berufsbegleitend eine Masterarbeit schreiben. Nehme mir dafür auch jede zweite Woche jeweils zwei Tage frei, damit ich ein vier Tage Wochenende zum Schreiben habe. Doch obwohl ich letztes Mal Stunden vor dem Compi sass, mir dann aber zwischendurch auch längere, sprich 12 stündige, Pausen gönnte, wollte mich die Muse nicht küssen. Der Druck ist wohl noch nicht gross genug, da der Abgabetermin erst im Januar ist. Auch fehlt mir noch Ihre Gewissheit, dass alles da ist.
    Ich wünsche Ihnen viel Erfolg mit Ihrem Manuskript und freue mich darauf, vielleicht schon bald ein neues Buch von Ihnen lesen zu können (ich las zur Auflockerung während dem letzten langen Wochenende „Flowers in your hair“. „Leider“ erinnerte mich dieses Buch so stark an meine drei Jahre in SF, dass ich lieber der Vergangenheit nach träumte, als mich mit dem Thema meiner anstehenden Arbeit auseinander zu setzten).

  2. Corinne meint

    …es schneit immer noch! Und das Ende Oktober.
    Meine Tochter hat so eine fixe Idee, vom perfekten Moment. „Draussen stürmt es, drinnen brennt ein Feuer im Kamin und auf dem Tisch raschelt das Käsepapier.“ Sicher haben wir alle solche Vorstellungen vom perfekten Moment, wo alles stimmt. Schneefall ist für mich schon einmal die erste Zutat, die es für so einen Moment braucht, und dann im Dämmerlicht des hereinbrechenden Abends durch das Quartier spazieren und anderen Leuten in die Wohnzimmer schauen, das ist einer dieser perfekten Momente für mich.
    Wie es solche Momente an sich haben, finden sie meist nur in unserer Fantasie statt, entweder brennt das Feuer nicht, es stürmt nicht, oder es stimmt sonst was nicht.
    Ich habe einen Freund, der lässt sich früh-pensionieren und er wartet immer noch auf den perfekten Moment, in dem er mit seinem Hobby anfangen kann. Er wird wohl noch lange warten.
    Und so erkläre ich den jetzigen Moment für perfekt. Es ist noch nicht Abend. Ich bin nicht draussen am anderen Leuten in die Wohnzimmer zu schauen, aber es schneit …

  3. Sofasophia meint

    „das beste kommt erst!“ – vielleicht ist das die richtige haltung, das leben in seiner ganzen absurdität zu ertragen? ich glaube, diesen satz schreibe ich mir auf meinen badezimmerspiegel. ganz gross.

    danke, liebe milena, dass du es immer wieder schaffst, dem alltag ein schnippchen zu schlagen und die schnippsel davon mit uns zu teilen.
    tut echt gut!

    liebe grüsse, sofasophia

    • BurgerTrice meint

      Liebe Milena, das ist eine sehr gute Idee, sich im Novemberschreiben einzuschreiben ! Bravo ! Damit wirst du es garantiert schaffen, denn der November ist lang, hell und finster, also die optimalen Bedingungen um vorwärts zu kommen mit der Schreibarbeit.— Mir persönlich scheint der November immer doppelt so lang wie andere Monate, also der Zeitvorrat auch doppelt so lang. Schon das allein ist ein gutes Gefühl. Deswegen fuhr ich im November oft nach Venedig, denn dort ist der Tag nochmals doppelt so lang, weiss nicht, diese Stadt stellt den Rhythmus des Tages nochmals in eine andere Position.— Vielleicht verhält es sich mit Lissabon ähnlich ? Wer weiss ? Also, lehne dich zurück, du hast noch viel Zeit.
      Dieses Jahr nütze ich selber den November zum Schreiben, ( wie einst das Novemberschreiben mit dir in Winterthur ) als Training sozusagen, denn im *Literareon.de* ist ein Wettbewerb über die LIEBE ausgeschrieben. Ein schwieriges Thema zwar; eine Geschichte nicht über 1000 Wörter ist erlaubt, zwei läppische Seiten also ! — Obwohl auch nicht einfach, ( wegen der Kürze ) scheint mir das ein Pappenstiel zu deiner Aufgabe, Milena. ! — Doch, mit deinem Erfahrungspotenzial, glaube ich, kann wirklich nichts schiefgehen — und wenn schon, alles lässt sich ausdehnen — sogar die LIEBE !

    • Milena Moser meint

      @Beatrice: Ich finde, je kürzer ein Text, desto schwieriger! Von 1000 Worten darf nicht eines am falschen Ort stehen. In einem Roman hingegen liegen auch Abschweifungen drin. Ich bin gespannt!

    • BurgerTrice meint

      Milena; ja bestimmt ist das schwierig, du hast schon recht, die Wörter müssen sitzen, und ich glaube auch kaum, dass ich persönlich etwas Befriedigendes hinkriege. Ich mache einfach mit, damit ich eine Herausforderung habe.
      Als Inspiration habe ich mir das kleine Buch mit den Gewinnergeschichten des letztjährigen Wettbewerbs schicken lassen, um irgendwie eine Ahnung zu kriegen, wie eine Geschichte mit 1000 Wörtern aussieht …… unter dem Motto: Vorspiel ! — Es sind 20 Geschichten, und ich finde sie eigentlich alle sehr gelungen und erstaunlich abgerundet. Aber wie du sagst, es wird sehr schwierig sein …… Bin auch gespannt ! — Ich halte dir die Daumen für einen produktiven November. Liebe Grüsse Béa

    • BurgerTrice meint

      Milena: Danke 1000x ! So etwas Aufbauendes habe ich schon lange nicht mehr gehört ! Also, mache ich mich ans *Einzigartige*, bis Ende Monat ist Abgabetermin. Liebe Grüsse Beatrice

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