Die hohe Kunst der Selbstüberlistung

„Das schaffst du nicht“, sagt Franziska, die Lektorin, die Erstleserin der meisten meiner letzten Manuskripte.

„Nein“, gebe ich zu, und meine damit den Termin Ende Oktober, den ich mir gesetzt hatte, um ihr einen ersten Blick zu gewähren. Damit ich das Manuskript noch einmal überarbeiten kann, bevor ich es Ende Jahr dann wirklich abgebe.

Aber das meint sie nicht. Sie meint den endgültigen Abgabetermin Ende Jahr. Ich hatte davon angefangen, Zweifel geäussert, meinst du, ich schaffe das? Doch in dem Moment, in dem sie das ausspricht, „das schaffst du nicht“, regt sich wieder mein grösster innerer Feind, mein „wart du nur, dir zeig ich’s!“-Teufel.

Dann reden wir noch ein bisschen über die absurd langen Produktionszeiten, wir fragen uns, warum ein Manuskript ein halbes Jahr vor Erscheinen schon druckfertig bereit liegen muss, lektoriert, korrigiert und gesetzt. Warum diese Spatzung, diese Zeitreserve nicht dem gegeben wird, der sie am meisten braucht, der am meisten damit anfangen könnte, nämlich dem Autor. Statt der Druckerei. Es muss, wie alles, eine Frage der Kosten sein. Und  das alles ändert nichts an meinem Termin. Ich habe mir eine Hintertüre offen gelassen, indem ich noch keinen Vertrag unterschrieben und somit keinen Vorschuss bezogen habe. Das gibt mir die Freiheit, im Notfall zu sagen: „Tut mir leid, es wird diesmal etwas später.“ Andererseits fehlt mir jetzt natürlich das Geld. Einmal mehr habe ich eine von aussen schwer nachvollziehbare Entscheidung getroffen, in dieser ohnehin schwierigen Situation darauf zu verzichten. Welchen Preis hat die Freiheit? Und wie nutze ich diese Freiheit?

„Wart du nur!“, grinst der Teufel auf meiner Schulter. Als ich nachhause gehe, zähle ich die Wochen bis Ende Jahr. Und versuche auszurechnen, wieviele Seiten pro Tag ich schreiben muss, um den Abgabetermin einzuhalten. Da ich nicht weiss, wie lang die Geschichte werden soll, gebe ich bald auf.

Halbherzig, unkonzentriert male ich rosa und grüne Blöcke in meine Agenda. Dann mache mir einen Kaffee. Er riecht seltsam. Ich wasche die Tasse noch einmal aus, sie ist voller Schaum. Ich schaue aus dem Fenster. Rufe eine Freundin an. Lasse mich rückwärts und mit ausgebreiteten Armen in die engen Maschen des weltweiten Netzes fallen, das mich wie ein Trampolin sanft ein paar Mal auf und ab schleudert. Greife wahllos Ideen auf. Lege Dokumente mit verwirrenden Titeln an, ohne Inhalt, für zukünftige Kolumnen. Frage mich, was ich mit „Studie Bus wo sitzen“ gemeint habe, erinnere mich an einen Artikel in einer Zeitung aus Papier, den ich ausreissen wollte. Scheitere im Internet mit dem Suchbegriff „Studie Bus wo Sitzen“ und wühle mich statt dessen durch die alten Zeitungen in meiner Küche. Die ich bei der Gelegenheit schon mal bündeln könnte. Finde eine tolle Hochzeitsgeschichte, die mich so glücklich macht, dass ich „Studie Bus wo Sitzen“ vergesse und statt dessen nach schönen Liebesgeschichten suche. Finde ein altes Paar in einem Schrebergarten in Zürich, das mich zu Tränen rührt. So soll Nevada alt werden, denke ich. Dann klingelt das Telefon und in meiner gerührten Stimmung lasse ich mich dazu hinreissen, einen persönlichen Essay über ein Thema zu schreiben, das ich viel lieber vergessen würde. Wird aber gut bezahlt. Bezahlte Therapie, denke ich und grabe mich dann durch sämtliche Küchenschränke auf der immer manisch werdender Suche nach einem ganz bestimmten Schokoladeriegel. Finde ihn nicht, gehe deshalb einkaufen. Gebe 107.85 Franken aus. Nicht für Schokolade. Schleppe die Einkauftüten nachhause, bleibe unterwegs vor einem Schaufenster stehen, lasse mich von einer unsichtbaren Hand in den Laden ziehen. Sehe mich im raumhohen Spiegel, zerzaust, schlabbrig, beladen und denke: Dieses trostlose Bild kann jetzt nur noch eine gelbe Jacke retten. Sie passt wie angegossen. Ich fühle mich sofort besser. Gehe nachhause. Jetzt muss ich etwas essen. Ich packe meine Einkäufe aus und finde nichts, was ich jetzt gerne essen würde. Mache mir noch einen Kaffee und einen Flecken auf die gelbe Jacke. Setze mich an den Schreibtisch, schaue in meine Agenda, ziehe einen Tag von meiner Rechnung ab, mache aus Seitenzahlen Stunden und denke: Natürlich schaffe ich das. Wart nur ab, dir zeig ich’s!

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8 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Haus-Horlacher meint

    Ich habe eine Woche Ferien. In dieser Woche Ferien muss ich mich erholen. Ja, ich weiss, was ihr jetzt denkt: Aber, sie hatte doch erst vor kurzem Ferien, Saas Fee undsoweiter, nachzulesen in diesem Blog, unter „Das Wort zum Sonntag – diesmal mit Handke“! Tut mir Leid. Ich finde es ja selbst peinlich, dass ich schon wieder Erholung nötig habe, wo ich doch nicht einmal krank bin! Es ist nämlich so, dass ich sehr selten krank werde. Eigentlich fast nie. Nur, wenn ich dann einmal krank bin, dauert es sehr lange, bis ich wieder einsatzfähig bin, zwei Wochen oder so. Darum muss ich aufpassen, dass ich nicht krank werde, und meine Ferien dazu nutzen, mich zu erholen. Sozusagen auf Vorrat.
    Ich füllte also am Samstagmorgen meinen Kühlschrank und nahm mir vor, meine Wohnung die ganze Woche über nicht zu verlassen. Bis auf ein einziges Mal, und zwar, um meine Gotte in Liestal zu besuchen. Erstens, weil sie mir am Herzen liegt und zweitens aus Dankbarkeit, weil sie sich in rührender Weise um den Vertrieb meines Buches bemüht, indem sie es jeder ihrer zahlreichen Freundinnen zum Geburtstag schenkt und es zu diesem Zweck jedes Mal in einer anderen Buchhandlung bestellt. Ich hoffe nämlich, dass die eine oder andere Buchhändlerin Milenas Zusammenfassung auf der Buchrückseite liest, diese interessant findet und deshalb beschliesst, das Buch in ihr Sortiment aufzunehmen.

    So fuhr ich denn am Sonntag nach Liestal und verbrachte ein paar gemütliche Stunden mit meiner Gotte und ihrem Mann. Wir sassen auf dem Balkon, genossen den Blick über das hübsche Städtchen und unterhielten uns aufs Angenehmste. Später bewirtete sie mich mit Lachsnudeln und gedämpften Tomaten, was mir ausgezeichnet schmeckte.
    Um halb acht machte ich mich auf den Heimweg.
    Es ist jetzt schon wieder ganz dunkel um diese Zeit. Um von Liestal nach Brugg zu gelangen, braucht man eine knappe Stunde. Ich hatte mir deshalb etwas zu lesen mitgenommen und zwar „Die Putzfraueninsel“. Angeregt durch Milenas Input „Die Liebe siegt. Schon wieder.“ vom 16. September, hatte ich nämlich angefangen, darüber nachzudenken, warum wer wie schreibt, wie er schreibt, und ob Sprache, Form und Inhalt durch den Ablauf des eigenen Lebens bedingt ist. Mein Deutschlehrer im Seminar schrieb mir einmal unter einen Aufsatz: „Passen Sie auf, dass Ihr fragmentarischer Stil nicht zur Masche wird!“ Seine Kritik war wohlgemeint, und er hatte meine Aufsätze bisher auch immer gut benotet. Zudem war der „fragmentarische Stil“ keine Masche. Ich liebte Erika Burkart und Klaus Merz und war wohl etwas von ihnen beeinflusst, aber eine Masche war es trotzdem nicht. Dennoch wählte ich fortan nur noch Aufsatzthemen, bei denen alles möglich war, ausser einem fragmentarischen Stil, um dem Lehrer zu beweisen, dass ich auch anders konnte. Nun ja. Man muss bedenken, dass ich damals erst neunzehn Jahre alt war. Ausserdem brachte mich diese Kehrtwende vermutlich weiter, als wenn ich auf meinem „Stil“ beharrt hätte, auch wenn meine Gründe dafür ziemlich pubertär waren. Ich lernte viel und gute Noten bekam ich weiterhin. Nur der fragmentarische Stil blieb dabei ganz und gar auf der Strecke .
    Inzwischen bin ich zu müde, um jemandem etwas zu beweisen und auch für das ewige Lernen und Weiterkommen. Mein einziges Ziel ist, mich irgendwie verständlich zu machen, und das geht nun mal am besten, wenn ich mich in Szenen hineinversetze, die in meinem Leben so hätten vorkommen können, und sie so genau wie möglich beschreibe. Es sind unspektakuläre Szenen, weil mein Leben unspektakulär ist. Aber ich hoffe, wenn ich mich bemühe, mit meinen Beschreibungen ganz präzis zu sein, öffnet sich eine neue Sicht auf die Szenen und dann wird erkennbar, dass in Wahrheit alles ein wenig anders ist, als es im ersten Moment erscheint.

    Warum schreibt man, wie man schreibt?
    Warum wird die Putzfraueninsel so gern gelesen? Was ist an dieser Irma so besonders?
    Ich weiss es nicht. Ich kann nur von einem Erlebnis erzählen, das ich mit diesem Buch hatte. Am Sonntag auf dem Nachhauseweg. Wenn man mit dem Zug von Liestal nach Brugg fährt, muss man in Aarau umsteigen. Das wurde mir fast zum Verhängnis. Ich las nämlich „Die Putzfraueninsel“ und merkte überhaupt nicht, dass der Zug angehalten hatte. Und als ich es dann endlich merkte, erkannte ich im ersten Moment den Bahnhof nicht. Dabei gibt es wohl kaum einen anderen Bahnhof, der mir so vertraut ist, wie der von Aarau!
    So was kann vorkommen, wenn man in ein Buch vertieft ist, denkt ihr jetzt vielleicht. Ja, natürlich, aber ich las das Buch ja nicht zum ersten Mal sondern mindestens zum fünften. Und darum finde ich das nicht nur bemerkenswert – ich finde, es ist sensationell. Absolut ausserordentlich.

    Liebe Grüsse
    Regula

  2. Regula am See meint

    Bei “Studie Bus wo sitzen” kommt mir spontan in den Sinn, entweder geht es darum, dass es bei einer Tagesreise (muss mindestens ein Bisi-halt oder eben eine Rückfahrt gleichentags inkludiert sein mit den gleichen Passagieren klaro) in einem Bus, vielmehr in einem Car es doch so ist, das alle nach einen Stopp wieder auf den gleichen Platz sitzen. Wehe dem, der diese unausgesprochene Regel nicht einhält, der wird zumnidest mit den Augen aufgefressen. Oder aber ob es in einem Bus/Tram eine Sitzordnung gibt?? Ältere, schwangere und Personen mit Kindern bei den Ein/Ausgängen, die Jungen fläzen sich überallhin und die eiligen und Krawattenträger setzen sich erst gar nicht, nein die kommen in die Mitte, stehen dort wo es sich immer so schön dreht in der Kurve. Gibt es solche Gefährte noch, weiss es nicht da ich recht selten mit den ÖV’s unterwäx bin. Quitsch beim Central :-).
    Vielleicht war ich dein Gedächtnis Milena und wenn nicht, dann nicht!

    Ich wünsche Euch allen einen wunderbarsonnigen herbstlichen orangemorgen!
    Herzlicher Gruss Regula am See

  3. Nicole H. meint

    Liebe Milena,
    Es ist erfrischend, einen so ehrlichen Einblick in dein Leben zu bekommen.
    Mir gefällt deine Art, wie du schreibst; dass du kein Blatt vor den Mund nimmst, deine Gefühle und Gedanken so offen darlegst. Das kommt mega sympathisch rüber.
    Schön, dass es solche Schriftsteller wie dich gibt!

    Denn wer etwas mit dem Herzen tut- bei dem kommt immer alles gut:-)

    Alles Liebe
    Nicole

  4. sarah trotz meint

    liebe, dem teufelchen ist schon wieder nichts neues eingefallen.
    aber sag mal, was ganz anderes:
    wieso hat sich das engelchen den mund zugeklebt und in der besenkammer eingeschlossen?

  5. Isabel meint

    O, solche Nichts-passt-Tage kenne ich! An diesen Tagen überlege ich regelmässig, ob ich tatsächlich auf dem richtigen Stern gelandet bin…ich glaube, ich kaufe dann irgend etwas, nur damit ich merke, dass ich tatsächlich nicht nur im Kopf anwesend bin, wo ein völlig anderer Film abläuft. Bestenfalls. Anderenfalls sind das auch meine Stolpertage, auf denen ich Treppen herunter oder herauf falle. Ich verschicke merkwürdige Mails, die seltsamerweise Gott sei Dank nicht ankommen, weil auch in der technischen Ausstattung der Wurm drin ist. Ich fühle mich nicht unglücklich, sondern nur unkonkret. Solche Leerlauf-Tage scheinen bei mir dazu zu dienen, sich vor einem kommenden (Arbeits-?)Sturm zu sammeln, bei dem die Blätter nur so fliegen….Man sollte sie eigentlich geniessen…Und Gummibärchen helfen manchmal auch!

    Herzlicher Gruss
    Isabel

  6. Karin meint

    Liebe Milena, ich bin fest davon überzeugt das du es schaffst, warum auch nicht. Es hat doch noch immer irgendwie geklappt. So ein gesunder Trotz hat mir immer geholfen, wenn ein „das schaffst du nicht“ meinen Weg kreuzte. Ich freue mich schon auf Nevada. Alles Liebe Karin

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