Was uns abhält

„Und das alles hält dich nicht vom Schreiben ab?“, fragte mein Verleger, nachdem er der letzten Folge der Seifenoper „Milena fängt noch mal ganz von Vorne an“ zugehört hatte. Wir sassen in der prallen Mittagssonne nicht unter, sondern neben einem Schattenschirm. So oft sehen wir uns nicht, aber jedes Mal scheint gerade eine Hitzwelle über der Stadt zu liegen und den Himmel auf mich herunterzudrücken wie den Deckel auf eine Bratpfanne.

„Nein“, sagte ich deshalb vollkommen wahrheitsgetreu.  „Das nicht. Aber die Hitze…“

Dass die Hitze ein Grund ist, alles abzusagen, steht heute sogar in der Zeitung. Wenn es heiss sei, könne man nicht denken, schreibt ein Arzt aus dem Tessin. Doch zum Glück muss man zum Schreiben nicht denken…

Nein, das Leben hält mich nicht vom Schreiben ab. Allenfalls hält mich das Schreiben vom Leben ab – danke für die Erinnerung, Maja! Im Gegenteil, je mehr passiert, je mehr drunter und drüber geht, desto grösser ist mein Bedürfnis, alles aufzuschreiben. Nicht nur das, was gerade passiert, sondern auch alles, was ich denke, mir ausdenke. Ob ich nun versuche, ein Muster in dem zu erkennen, was gerade passiert, oder ob ich allem den Rücken zuwende und mich in schönere Gegenden flüchte, in tröstlichere Umarmungen – ich tue es schreibend. Vielleicht, Maja, vielleicht kann ich es gar nicht trennen? Das Leben vom Schreiben?

Was mich vom Schreiben abhält ist ganz etwas anderes. Viel banaler. Die Hitze. Das Telefon. Hunger. Die Suche nach einem gespitzten Bleistift. Termine.

Also eigentlich nichts. Nichts, was man nicht ändern könnte. Ich habe mir eine Agenda gekauft und die Vormittage blau ausgemalt. Blau wie die Hoffnung, blau wie Tinte, blau für Schreiben. Ich esse etwas, bevor ich mich an den Schreibtisch setze, ich schalte das Telefon lautlos, rüste mich mit Bleistiftspitzern und Lesebrillen aus, ich stelle meine Füsse in einen Kübel mit kaltem Wasser. Das hat den zusätzlichen Effekt dass das Aufstehen vom Schreibtisch zu einer Staatsaktion wird (man müsste zum Beispiel trockene Tücher bereitgelegt haben), die man sich zweimal überlegt. Ich bleibe also sitzen. Ich schreibe. Alles andere ist am Nachmittag.

Es ist ganz einfach.

Haha. (Die Hitze scheint auf das Mitteilungsbedürfnis meiner Affen keinen Einfluss zu haben. Nicht den geringsten.)

Magdalena, die übrigens fertig ist mit ihrer Überarbeitung, aber mir immer noch nichts zu Lesen gegeben hat – wink, wink! -, Magdalena äusserte vor ein paar Wochen die Vermutung, sie sei einfach zu glücklich in ihrem Leben, um noch wirklich produktiv zu sein. Der Druck, etwas niederzuschreiben, sei einfach nicht mehr derselbe wie früher. Ist es besser, glücklich zu sein und nicht zu schreiben, oder unglücklich zu sein, und dafür Stoff zu haben? Interessante Frage. Ich kann sie nicht beantworten, da ich das Leben nicht vom Schreiben trennen kann. Glücklich oder unglücklich ist deshalb gar nicht die Frage.

Für die, die „einfach nicht zum Schreiben kommen“: Schreibt mal auf, was auch davon abhält. – Und schon habt ihr was geschrieben!

Wenn euch dieser einfache Selbstüberlistungstrick noch nicht direkt zurück in den Text geschleift hat, dann schaut euch die Auflistung noch einmal ganz ungerührt  an. Steht „ich bin einfach zu glücklich“ drauf? Nein? Dann zerknüllt sie und werft sie weg. Und schreibt weiter.

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10 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Haus-Horlacher meint

    Nein, zu glücklich bin ich definitiv nicht. Eher übe ich mich in Demut. Ich verdiene jetzt genug Geld, um mich selber über die Runden zu bringen, darum kann ich die Scheidung vorantreiben. Meine Scheidung. Ich will sie, niemand sonst. Scheidungsformalitäten zu erledigen sind keine rein praktische Angelegenheit. Ich suche die nötigen Dokumente zusammen, kopiere sie, schreibe einen Begleitbrief zum Einreichen des Scheidungsbegehrens. Alles im Zeitlupentempo. Ich schleppe mich vom Schreibtisch zum Bett, wo ich die Papiere ausbreite, um mir einen Überblick zu verschaffen. Ich ordne meine Notizen von der letzten Mediationssitzung zum Ablauf des Verfahrens. Etwas drückt mir auf die Brust, ich atme schwer. Zuweilen breche ich in Schweiss aus, nicht wegen der Hitze, vielmehr, weil mich die Ungeheuerlichkeit meines Vorhabens überfällt, wenn mir plötzlich ein Wort ins Auge sticht: Scheidungsbegehren. Vorladung. Gerichtspräsident. Was erlaube ich mir da eigentlich?, frage ich mich dann. Was tue ich dem Menschen, mit dem ich zwanzig Jahre lang zusammenlebte, an? Einem unschuldigen Menschen?!
    Ich bin der schuldige Mensch in dieser Sache, sagt ein Teil von mir.
    Nein, kontert ein anderer, das ist nicht wahr.
    Doch der Teil, der auf schuldig plädiert, ist der Stärkere.

    Schreiben, um zu überleben
    Schreiben zur Ablenkung
    Schreiben zur Erholung

    Vor der Haustür meiner Nachbarn steht eine rote Giesskanne. Ich sehe sie von meinem Schreibtisch aus. Über diese Giesskanne eine Geschichte zu schreiben, wäre eine Möglichkeit. Eine Geschichte über eine rote Giesskanne, die davon träumt, einmal in ihrem Leben mit Himbeersirup gefüllt zu werden.

    Und ja, so ein Bildchen einfüllen, links oben vom Blog-Beitrag, das möchte ich auch mal gern!
    Kann mir bitte jemand erklären, wie das geht?
    Vielen herzlichen Dank im Voraus
    Regula

    • Karin meint

      Wie schön du das geschrieben hast. Ja, das sich schuldig fühlen, weil man nicht bleibt, obwohl man doch im Grunde weiß, dass die gemeinsame Zeit um ist. Ich habe in 2 Ehen den richtigen Zeitpunkt erwischt und konnte gehen. Fazit: Meine Exmänner und ich sind immer noch befreundet. Etwas länger, wäre es nicht mehr der Fall gewesen. Alles Gute für Dich
      Karin

  2. Karin meint

    Nein, glücklich sein hat mich noch nie vom Schreiben abgehalten. Komischerweise sind die traurigsten Geschichten dann entstanden, wenn ich rundherum glücklich war.
    Die Dinge die mich abhalten, sind ähnlich wie bei dir. Manchmal habe ich das Gefühl, dass bei Familie, Freunden, Kollegen, ein grünes Licht angeht, welches bedeutet: Karin sitzt am Computer, nun können wir anrufen, vorbeikommen usw. Dieses Licht leuchtet, scheint es auch bei GEZ-Vertretern, Nachbarn und Menschen die ich einmal kurz irgendwo traf.
    Das sind immer die Momente, wo ich mir ein einsam gelegenes Haus an der Ostsee, wünsche. Schwer zugänglich und ohne Telefon und Nachbarn. Nur befürchte ich, dass ausgerechnet der Trampelpfad zu meiner Hütte auf einmal zum Beliebtesten Wanderpfad erklärt wird und alle in Scharen bei mir im Garten sitzen. All die, die nur einmal auf eine Tasse Tee kommen, aber leider nicht wieder gehen.
    So, jetzt muss ich schreiben. Morgen wird Layoutet und Anfang Oktober kommt das Baby aus der Druckerei. :-) Juchuuu.
    Alles Liebe Karin

    • Regula Haus-Horlacher meint

      Wow – GRATULIERE!!
      Ist es „Weltentore“? Darauf warte ich schon lange!!
      Liebe Grüsse
      Regula

    • Karin meint

      Danke Regular. Die Weltentore sind noch in Arbeit. Diesmal ist es die Erzählung über den Menschen der bei IKEA einzieht, plus 3 Kurzgeschichten. Alle Geschichten befassen sich mit der Einsamkeit in der Masse. Mit denen die in keine Schublade passen.
      Wenn es mit dem Weltentor soweit ist sage ich Bescheid.
      Alles Liebe Karin

    • Regula Haus-Horlacher meint

      Oh – ein Mensch, der bei IKEA einzieht, interessiert mich natürlich auch! Eine meiner heimlichen Ängste dreht sich nämlich darum, dass ich es irgendwann einmal nicht schaffe, ein Kaufhaus rechtzeitig vor Ladenschluss zu verlassen und dann die Nacht dort zubringen muss. Vielleicht hilft mir ja deine Erzählung vom Mensch, der bei IKEA einzieht, diese Angst loszuwerden, wer weiss :-)
      Auf jeden Fall wünsche ich dir viel Erfolg!
      Liebe Grüsse
      Regula

    • Karin meint

      Danke Regula. Meinem Martin passiert in der Geschichte genau das. Er bleibt aus Versehen über Nacht und daraus entsteht eine ganze Menge. Alles Liebe Karin

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