Die Genussprobe

Zwei Frauen, zehn Paar Schuhe, zwei Computer: Das sind „Unvollendete Ferien“. Das Konzept für das nächste Programm steht schnell fest. „Die Unvollendeten In Love!“ Nicht über Beziehungen wollen wir reden, nicht über den Geschlechterkampf, nein, über die Liebe. Hahahahaha! Unser Konzept hat etwas wild entschlossen verzweifeltes, und vielleicht auch etwas von self fulfilling prophecy, hoffentlich. Jedenfalls geht uns der Gesprächststoff eine Woche lang nicht aus, auch nicht am einzigen sonnigen Tag unseres Aufenthaltes, an dem auch obiges Bild geschossen wurde.

Mit mir unterwegs waren auch Nevada, Dante, Erika und Suleika – nein, Gise, Jean-Luc (Erikas Vater) ziert sich noch. Dafür hat sich Max in den Vordergrund gedrängt, Erikas gemeiner Exmann. Gar keine schöne Ferienbegleitung! Und Claudine, nein, Poppy ist auch nicht mitgekommen: Sie hat mich gleich als Erste verlassen, nachdem ich die „Montagsmenschen“ abgegeben hatte. Das tun die meisten Romanfiguren. Es ist immer ein wenig schmerzhaft, aber ich sage mir, es sei ein gutes Zeichen: Sie sind versorgt. Dass mir eine so hartnäckig auf den Fersen hockt wie Nevada, ist selten. Eigentlich hockt sie mir auch gar nicht auf den Fersen, sondern hinter dem linken Ohr.

Morgen muss ich meinem Verleger eine „Tendenzmeldung“ durchgeben: Wird der Roman (merkt ihr was? Ich nenne es nicht mehr „das Wasimmer“ sondern „den Roman“!) noch dieses Jahr fertig werden? Mit fertig ist die erste Fassung gemeint. Und ein Erscheinungtermin in der zweiten Hälfte des nächsten Jahres. So lange dauert das. Und ja, ich bin bis Mitte 2015 verplant, aber bevor ich mir deswegen leid tue, denke ich an meinen Sohn, der ist das schliesslich auch. Und überhaupt die meisten Menschen. Und die, die es nicht sind, wären es gern. Auf der anderen Seite entscheidet man sich nicht für den Wahnsinn des freien „Wasimmer“, wenn man gern vorausplant.

Item. Anyway. (Das ist übrigens ein Zitat. Meine kalifornisch-bernerische Freundin und Yogalehrerin Katchie, die beim Unterrichten gern die Sprachen vermischt, sagt immer wieder unvermittelt: „Item – this is berndüütsch for anyway -…“

Eben. Also. In den letzten beiden Monaten hab ich wieder erschreckend deutlich gesehen, wie fahrlässig und meist vollkommen sinnlos ich mich selber unter Druck setze. Und was dabei herauskommt. Deshalb hab ich die ganze Woche lang KEINE ZEILE geschrieben. Am Roman. Ich wollte sehen, was passiert. Wenn ich mich nicht um sie kümmere, um Nevada und Dante und Erika und Suleika und den fiesen Max. Wenn ich mich mit etwas anderem beschäftige. Mit unserem neuen Programm. Die Liebe ist schliesslich auch ein grosses Thema im Roman – werden die Gedanken, die Erinnerungen, die Szenen, die Bilder nun einfach in die Unvollendeten fliessen? Löst sich das Thema auf? Beide Ausdrucksformen, so unterschiedlich sie sind, nähren sich schliesslich vom selben kleinen Tümpel meines Erlebens.

Ein paar Tage lang spielte ich die Möglichkeit im Kopf durch. Ich formulierte die Mail: Tut mir leid, der Roman hat sich aufgelöst. Ich melde mich, wenn ich wieder mal eine Idee habe! 

Ich gebe zu, die Vorstellung hatte etwas Verlockendes. Ein Roman verschlingt das Leben von aussen nach innen, wie eine Riesenschlange, die sich um einen wickelt, langsam, langsam, unaufhaltsam – ich entschuldige mich für das Bild, ich hab so was mal in einer Fernsehserie gesehen. Irgendwelche Aerzte in einem unbestimmten lateinamerikanischen Dschungel versuchten einen verletzten Wanderer aus so einem Teil zu schälen, vergeblich. Doch ich spielte mit dem Gedanken, wie ich als Kind davon geträumt hatte, am Ende der Ferien eingeschneit zu werden: im Wissen, dass es eine Phantasie war. Denn meine Figuren, meine Geschichte, liessen mich keine Minute los. Auch wenn ich keine Zeile schrieb.

In der Fernsehserie löste sich die Schlange plötzlich und blitzschnell von selber, als sie den VErletzten über einen Fluss trugebn, und gliott ins Wasser. Der Verletzte verblutete, ohne den konstanten Druck, an seinen inneren Verletzungen. die Schlange hatte ihn von aussen zusammengehalten.

Das hat jetzt keinen Zusammenhang.

Am letzten Abend sassen wir in der Hotelbar und hörten schauderhafte Musik und irgendwann nahm ich mein blaues Büchlein hervor, meinen Bleistift, und schrieb: Erika – Fluss – Jesus.

Sibylle drehte das Heft zu sich, las und sagte: Ah.

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Leser-Interaktionen

11 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Haus-Horlacher meint

    @Milena – Wie war das genau? Ich versuche zu verstehen: Da gab es also in dieser Fernsehserie einen Wanderer mit inneren Verletzungen. Der war von einem schlangenähnlichen Untier gefressen worden. Oder zumindest halb gefressen. Dann löste sich die Schlange plötzlich auf, und der Wanderer verblutete an seinen inneren Verletzungen, weil kein Druck von aussen mehr da war … Hä? Also, wer das erfunden hat, scheint mir ein sehr grauer Herr zu sein!
    Inneren Verletzungen muss man mit äusserem Druck begegnen, sonst stirbt der Verletzte – Komische Philosophie, das! Aber wohl ziemlich lukrativ für solche, die Liebe mit Leibeigenschaft verwechseln. So ganz nach dem Motto: „Schau, es ist doch nur zu deinem Besten, wenn ich dich jetzt auffresse, sonst verblutest du an deinen inneren Verletzungen und das willst du doch nicht, oder?!

    Es gibt noch eine andere Methode, mit inneren Verletzungen umzugehen.
    „Lest Jörg Steiner!“, sagte Peter Bichsel in Solothurn, anlässlich der Hommage zu seinem 75. Geburtstag.
    Das habe ich getan. Und viel gelernt dabei. (Ach was – warum gebe ich es nicht zu? Es war eine Offenbarung. Weihnachten und Ostern gleichzeitig.)

    „Es ist ihm etwas zugestossen“, sagte Kocher. „Das kennt ihr ja auch. Man behängt uns mit Gewichten. Man höhlt uns aus. Dem Zehnjährigen gibt man Bücher von der verlogensten Heiterkeit in die Hand, damit man den Fünfzehnjährigen besser in der Hand hat. Wer sich wehrt, zappelt im Netz. Und dann, eines Tages, hast du auf einmal die Kraft, das Netz zu zerreissen. Das ist es vielleicht, was Knecht zugestossen ist.“ (…) „- und er (Kocher) dachte daran, wie wehrlos er Knecht einmal gesehen hatte: Sugus sass auf einem Stuhl im Garten, Knecht lag vor ihm auf den Knien, und Sugus fuhr ihm mit der Hand übers Haar, mit langsamen Handbewegungen, immer wieder, ohne ein Wort zu sagen. Warum tust du das? Hatte Kocher später gefragt, und Sugus: Weil er traurig ist, und Kocher: Wie lange dauert das? und Sugus: So lange, bis es ihm besser geht.“
    Aus: Jörg Steiner/Das Netz zerreissen/Suhrkamp 1982

    Man kann einander gesund streicheln.
    Man könnte.
    Hm –
    Seien wir ehrlich: Wer – ausser vielleicht einem geistig Behinderten wie Sugus – traut sich das schon, im Zeitalter des Helfersyndroms und der StalkerInnen?

    Und ja, der Weg nach dem Schritt in die Freiheit ist steil und steinig, das lässt sich leider nicht beschönigen. Besonders, wenn die Kraftreserven der ersten Euphorie aufgebraucht sind. Manchmal kommt es mir vor, als sei ich daran, den Mount Everest zu besteigen. Dabei will ich da gar nicht hinauf! Mir genügt ein sanfter Hügel.
    Auf dem Hügel soll ein Haus stehen.
    Die Tür soll offen sein.
    Ein Bad und ein frisch bezogenes Bett sollen mich erwarten.
    Und auf einem Tisch soll ein frisches Brot liegen.
    Mein Weg soll nur leicht ansteigen. Über Blumen am Wegrand würde ich mich freuen.
    Und ja – warum gebe ich es nicht einfach zu: Mein Liebster unter den Menschen soll mich begleiten. Und er soll mich in seine Arme nehmen, wenn das Grauen über mich kommt und ich zu verbluten drohe –
    :-)

    Ah ja, noch etwas: Gestern hiess der Spruch auf dem Kalender im Altersheim folgendermassen: (Ungefähr jedenfalls, ich habe nie genug Zeit, ihn abzuschreiben.)

    „Die Wurzel unter der Erde fordert keinen Lohn, weil sie die Zweige zum Blühen bringt.“

    • Regula Haus-Horlacher meint

      Nun ja – dann visualisieren wir den Liebsten wohl am besten mal weiter …

      Mich hat man ja mal notbiwakiert, vor Jahren, weil mir 50 Meter unter dem Gipfel der Schnauf ausging. Das geht mir immer noch nach: Ich in diesem orangen Biwaksack, ganz allein. Dieses komische Gefühl im Kopf, eine Art Surren ohne Ton. Schwindelerregend. Nebel hatte es auch noch. Erstaunlicherweise geriet ich trotz meines Deliriums nicht in Panik und blieb einfach brav sitzen, bis die anderen wieder kamen. Vielleicht lag es daran, dass ich glaubte, es sei normal, allein zurückgelassen zu werden, wenn man nicht mithalten konnte. Immerhin war es ja meine Schuld: Ich hätte mehr trainieren sollen. Auf den Gedanken, dass ein solches Vorgehen auch dann nicht ganz koscher war, wenn es möglicherweise tatsächlich klüger von mir gewesen wäre, gar nicht auf diese Bergtour mitzugehen, kam ich erst Jahre später …
      Anyway –
      Dein Erlebnis mit dem Pianisten (Welches, im Gegensatz zur Schlangengeschichte, ja wirklich passiert ist, woraus folgt, dass dein Leben KEINE Fernsehserie ist. Logisch, oder?!) hat auch mich sehr berührt. Wie könnte es nicht? Und so bin ich jetzt etwas zuversichtlicher, dass vielleicht auch mich mal jemand Huckepack nimmt, wenn ich in Bergnot gerate … ähm … eigentlich BIN ich ja im Moment in Bergnot … also ähm … ja, ich bin ja schon dran, am VISUALISIEREN …:-)

  2. Gise Kayser-Gantner meint

    EEEEEEEEEndlich, machte mir schon Sorgen, dass es Dir auf der Insel so gut gefällt, die Ideen so rasant strömen, dass noch eine weitere Woche :||, :||, :||, :|| (=Wiederholung) drangehängt wird. Und es ist so gut zu hören, dass Du einen Schreibstopp eingelegt hast … um dann den Stift (Synonym) wieder einzusetzen. Tja, das hört sich so vertraut an.
    Eigentlich wollte ich mit dem zweiten Durchgang schon so viel weiter sein – aber … und dieses „aber“ tut mir gar nicht gut. Doch jetzt drängeln sie wieder und wollen endlich an manchen Stellen mehr von sich preisgeben – Inga und sogar der so zurückhaltende Jean-Pierre, nicht zu vergessen Joëlle.
    Schön, dass die Konzeption, steht. Und Deutschlandtournee – das hört sich riesig an. Gutes Gelingen! Gise

    • Milena Moser meint

      @ Gise – wie schmeichelhaft! Nach einer Woche vermisst du mich schon?? Freue mich auf nächsten Sonntag! Ich hab auch eine Überraschung für euch…

  3. Karin meint

    Haa, sie ist zurück. Schön wieder von dir zu lesen. :-) Gibt es die Unvollendeten eigentlich auf DVD? Ich lebe ja im hohen Norden und werde kaum in eine Vorstellung kommen können. Interessanterweise verstehe ich Switzerdütsch recht gut. Der Schwabe in meinem Leben hat mich wohl alemannisch beeinflusst. :-)
    Alles Liebe Karin

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