Malen nach Zahlen

Karin ist  bestimmt nicht die einzige, die sich fragt, was sie den „strukturieren“ Schreibern entgegnen soll, die ihr ständig von Plotlinien und Charakterstudien erzählen, deshalb hier für alle: Die kurze Antwort kommt von Chris Baty, dem Erfinder des national novel writing month: „No Plot, no Problem!“ Das ist auch der Titel seines sehr erfrischenden Buches über das Schreiben in mörderischem Tempo. Die lange Antwort liefert James N. Frey, der Autor von „How to write a damn good novel“ 1 und 2. Im ersten Band stellt er zwar noch alle möglichen Regeln auf, im Vorwort zum zweiten Band aber gesteht er:

(…) pseudo-rules are total bunkum and following such rules is like trying to be an olympic swimmer with an anchor tied around your foot. Actually, pseudo-rules are taught to beginners to make life easier for the creative-writing teacher. The pseudo-rules help beginning authors to appear to be in control of their material.

Wir sind keine Anfänger. Wir haben bereits akzeptiert, dass es in einem kreativen Prozess keine Sicherheit geben kann. Dass wir nicht das Schreiben, sondern das Schreiben uns kontrolliert.

Das Bedürfnis nach Sicherheit, nach Regeln, ist menschlich und verständlich. Doch das Planen einer Geschichte, das Entwerfen von Plotlinien hat so viel mit Schreiben zu tun wie das Aufblasen von Schwimmflügelchen, das Umlegen eines Korkgurtes mit dem tatsächlichen Schwimmen. Gerade Anfänger bleiben gern in diesen Vorbereitungen stecken, sie recherchieren jahrelang, verschieben bunte Kärtchen auf imaginären Stellwänden, während das eigentliche Schreiben in immer unerreichbarere Ferne rückt und schliesslich unmöglich erscheint. Statt dessen wird dann gleich der nächste aufregende Plot geplant. Die, die sich tapfer an das Ausschreiben ihrer Entwürfe machen, stellen schnell fest, dass diese Arbeit öde und langweilig ist und nichts Kreatives mehr hat. Und warum sollte man sich damit plagen, wenn es am Ende keine Garantie dafür gibt, dass das Ergebnis dieser Plagerei auch von Erfolg gekrönt ist? Was, wenn man eine Geschichte nicht veröffentlichen kann, obwohl man sich brav an alle Regeln gehalten hat? Das ist unendlich frustrierender, als wenn man sich sagen kann: Immerhin habe ich jeden Tag am Schreibtisch ein Abenteuer erlebt. Immerhin ist diese Geschichte auch wirklich meine, die habe ich in Winkeln meines Geistes gefiunden, von denen ich nicht einmal wusste, dass es sie gibt! Damit man sich wirklich jeden Tag hinsetzt, muss vom Schreiben ein Sog ausgehen, der stärker ist als das Bedürfnis nach Sicherheit. Auf dem Papier muss etwas passieren, das sonst nicht passiert.

Aber natürlich, wenn ihr meint, probiert es ruhig aus. Wie heisst es in dem schönen Lied? Dann mach nur einen Plan, sei nur ein grosses Licht, und mach dann noch einen zweiten Plan, geh’n tun sie beide nicht….

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16 Kommentare

Kommentare

  1. Milena Moser meint

    @ Alexander – viele Schriftsteller hüten und schüren die Mythen, die das Schreiben umwabern, eifersüchtig. Und ängstlich. Ich nicht. Ob du an die Welt als ganzes glauben kannst, weiss ich nicht, an dein Schreiben aber ganz sicher!

  2. Barbara meint

    Whow, 8841 Zeichen! Wie habe ich ob dieser Zahl gestaunt. Heute nachmittag geschafft. Ein Rekord für mich. Und mit Leichtigkeit geschrieben. Mit Musik in den Ohren, ohne jegliche Kontrolle, ohne jegliche Bewertung, alles zugelassen. Marius hat Locken, die sich wunderbar anfühlen, er hat einen Foxterrier, der Leopold heisst, früher hätte ich die Augen gerollt, weil mir das so kitschig vorgekommen wäre, heute war ich glücklich und berührt, was da alles durch meine Finger geströmt ist. Seit Donnerstag schreibe ich über längere Zeit mit geschlossenen Augen, nicht auf den Bildschirm schauen, stattdessen die Bilder wahrnehmen, die sich einstellen. Ich schreibe, um mich darin zu üben, die Kontrolle aufzugeben. Das ist der Sinn und der Auftrag, nichts anderes. Affengeist Marcel ist bereits in der dritten Runde k.o.
    Gute Nacht und süsse Träume wünscht allen Schreibenden, Barbara

    • Regula Haus-Horlacher meint

      @ Barbara: Vorher bin ich kurz eingenickt. Da sah ich mich auf einer Strickleiter. Nur mich und diese scheinbar endlose Strickleiter. Vor, über, hinter mir und auf beiden Seiten nichts als blauer Himmel. Nach unten hab ich nicht geschaut. Was das wohl wieder soll? Geheuer war mir nicht dabei. Zum Glück bin ich gleich wieder aufgewacht! Immer diese Bilder…
      Vorsorglich hab ich’s mal notiert. Vielleicht lässt es sich ja irgendwann irgendwo einbauen. Wenn ich es denn zu gegebener Zeit wieder finde…
      Ob ich ein Archiv anlegen sollte, wo solche Momentaufnahmen alphabetisch nach Themen geordnet aufbewahrt werden könnten? Unter „S“ wie „Strickleiter“ oder „B“ wie „Blauer Himmel“ oder „I“ wie „In der Luft hängen“…

      Leopold. So hiess doch der Kellner im weissen Rössl. Ich liebe Operetten!
      Danke dir noch für den Ortheil-Tipp.
      Liebe Grüsse
      Regula

  3. Regula Haus-Horlacher meint

    Diese Woche habe ich gelernt, einen Menschen vom Rollstuhl ins Bett zu heben, Einlagen zu wechseln im Stehen und im Liegen, Augentropfen zu verabreichen und Essen einzugeben.
    Immer noch habe ich Angst, die welke alte Haut könnte reissen, wenn ich jemanden im Bett drehen oder ihm eine Einlage unter das schlaffe Fleisch der Gesässbacken schieben muss. Ich habe meine Fingernägel ganz kurz abgeschnitten. Ich will alles tun, um möglichst niemanden zu verletzen.
    Dreimal habe ich Fehlalarm ausgelöst, weil ich versehentlich auf die Bodenglocke vor dem Bett eines Patienten getreten bin. Inzwischen weiss ich, dass man das flache schwarze Kissen bevor man mit der Pflege beginnt unters Bett schieben darf. Dass ich in Zukunft immer daran denken werde, kann ich nicht versprechen: So vieles muss man im Kopf behalten –
    Es ist eine schöne, sinnvolle Arbeit, die mir sehr gefällt. Ich beginne dazuzugehören. Ich habe mir ganz leichte, weiche Schuhe gekauft, deshalb spüre ich abends kaum Schmerzen in den Füssen. Meine Gedanken drehen sich darum, wie man verhindern könnte, dass sich jemand, unmittelbar nachdem man ihn geduscht hat, die frischen Kleider nass macht, weil er nach einem Demenzschub plötzlich nicht mehr weiss, wie man eine Toilette benutzt. Und wenn ich mitten in der Nacht aufwache, grüble ich darüber nach, warum sich bisher keines dieser genialen Menschenhirne, die es ja zweifellos auf der Welt gibt – wie sonst wäre die Technik auf den heutigen Stand gekommen? – mit der Entwicklung des ultimativen Computerprogramms zum Erstellen von Dienstplänen befasst hat, das den Krankenschwestern mit einem Mausclick die Erfüllung all ihrer Freiwünsche ermöglicht.
    Natürlich weiss ich, dass solches Grübeln nichts bringt. Deshalb habe ich mir in der Bibliothek die Romane von Hanns Josef Ortheil geholt. Barbara hat mich auf die Idee gebracht. In diesen Büchern lese ich dann, bis ich so müde bin, dass es mir möglich erscheint, wieder einzuschlafen. Ich mag die Geschichten. Sie erzählen auf eine ganz besondere Art von der grossen Liebe. Es geht um Gesprächsstoff, der nie ausgeht, um das nie versiegende Interesse am anderen und an seiner Arbeit und darum, dass man sich miteinander auseinandersetzt, ohne sich gegenseitig zu verletzen.
    Da ich morgens viel Zeit brauche, um meinen Kopf für die Arbeit wachzubekommen, stehe ich um zwanzig nach fünf auf, damit ich pünktlich um halb acht zum Rapport auf meiner Abteilung bin. Ich koche Milch für meinen Kaffee, dusche, putze Zähne und Brille, mache das Bett und fahre anschliessend mit dem Fahrrad durch den Königsfelder Park. Lieber würde ich zu Fuss gehen, aber dann müsste ich fünf Minuten früher von zu Hause weg. Ich habe ausprobiert, schon um zehn vor sieben bereit zu sein, aber es ist mir nicht gelungen.
    An das Umziehen vor der Arbeit habe ich mich noch nicht so richtig gewöhnt. Ich weiss nicht, wie es die anderen machen, dass die Druckknopfoberteile gerade auf die Druckknopfunterteile zu sitzen kommen. Wenn sie nämlich nicht gerade aufeinander sind, wirft der Stoff Falten. Das ist bei mir der Fall. Die Arbeitskleidung gefällt mir ganz gut, obwohl ich nicht finde, dass sie mir besonders gut steht. Aber die Ärmel sind gelb und weiss gestreift, und diese Farbzusammenstellung mag ich.
    Da fällt mir noch eine lustige Anekdote ein:
    Als Kind machte ich in einer Fastnachtsclique mit. Wir hatten ein kleines Vereinsorgan, für das der Präsident Berichte über unsere Aktivitäten verfasste. Er hatte eine etwas unbeholfene Art sich auszudrücken, was sich manchmal in unfreiwillig komischen Wendungen äusserte. So schloss er zum Beispiel einmal seinen Bericht über den Fastnachtsonntag mit dem Satz: „Als der Umzug vorbei war, gingen wir zum Altersheim. Dort lösten wir uns auf…“
    Herzlichst
    Regula

    • Milena Moser meint

      @ Regula: ich auch. Zwanzig nach fünf. Aber ich wanke nur über die Strasse ins Zendo – ist nicht ganz dasselbe! Ich bewundere deine Kraft – die neue Ausbildung scheint dich zu beflügeln. Chapeau.

  4. Gise Kayser-Gantner meint

    Ach ja, Milena, die Sache mit dem Plan! Heute morgen hatte ich keinen Plan, aber eine leise Vorstellung wie meine Heldin Inga die Sache mit den beiden Franzosen lösen würde. Dann habe ich geschrieben und völlig entgeistert dabei zugeschaut, wie meine moralisch so gradlinige Heldin auf Abwege gerät … Das ist überhaupt erschreckend spannend, wie diese Akteure einfach ihr Ding abspulen. Und ich meinen eigenen Anschlägen hinterher hechele. Wer sagt denn, dass ich einen Text schreibe? Er schreibt sich und schreibt sich und schreibt sich – und schmeisst mich mitten in den Juli, obwohl hier Schneewinter ist. Soviel zur Kontrolle über sein eigenes Leben!

  5. Isabel meint

    Das Bild ergibt einen Schmetterling, für mich. (niemand hat gesagt, man solle den Zahlen aufsteigend folgen, oder?) Man kann die Phantasie frei walten lassen). Für mich stimmt nur der Satz: Meine Buchstaben ergeben Gebilde. Ich schreibe im Moment in alles, und das, was mit gerade einfällt.Vor mir ist nichts sicher. Ich weiss nicht, wie viele Minuten ich pro Tag schreibe. Ausserdem trage ich keine Uhr. Mein Tagesprogramm ist voll, und oft kann oder mag ich nicht mehr an den Computer. Ich habe ein dickes Schreib(tage)buch, in das ich per Hand schreibe, ein kleineres, das ich in meiner Handtasche trage, einen Block auf dem Schreibtisch und den Blog. Fanny hat sich auch entschlossen,. aus ihrem Schlaf zu erwachen. Muss alles ein Buch ergeben? Es ist das Schreiben an sich, das selbst produzieren, das neugierig-in-die-Strassenbahn-steigen, ohne das man weiss, wo man aussteigt…ich bin auf dem Weg zu etwas, aber ich weiss noch nicht, zu was. Vielleicht lande ich wieder am Anfang. Aber die Seifenblasen auf dem Weg, die schillernden, spiegelnden, steigenden, und verschwindenden, die habe ich auf jeden Fall gehabt.

    • Milena Moser meint

      @ Isabel – Grossartig, dieser Mut, ins Ungewisse zu springen! Du hast ja auch mal erzählt, dass dich das Klavierspielen glücklich macht, ohne dass du eine Einladung vom Tonhalleorchester dazu brauchst – das zitiere ich jetzt oft in meinen Kursen. Früher oder später wirst du schon sehen, was es wird. Jetzt ist es, wie Anke auch sagt, ein Abenteuer.
      Und – ein Schmetterling? Cool! Bei mir ist nichts dabei herausgekommen – wenigstens nichts erkennbares (what else is new?)

  6. Barbara meint

    Warum will ich Schreiben? – Welche Sehnsucht steht dahinter? Die Sehnsucht, beim Schreiben kein vorgegebenes Ziel erreichen zu müssen (wollen), keine Leistung erbringen zu müssen (wollen), nicht gut sein zu müssen (), keinen Nutzen nachweisen zu müssen () stattdessen mich treiben lassen, abtauchen, spielen, experimentieren, ver-rückt sein dürfen, frei von Erwartungen … aber unser alter Bekannter „Affengeist“ alias Marcel lässt hinter den Wörtern ganz fies die Forderung fallen (erinnert ihr euch ans Kinderspiel „Fetzli gleit…“?), dass das zweckfreie Treiben aber am Ende doch wieder zu etwas führen muss, zu etwas Vorweisbarem und dieses Vorweisbare muss dann auch noch gut sein.
    Adieu Monsieur Marcel,
    Ich schreibe ab heute nicht mehr, weil ich schreiben will. Nein, ich will gar nicht schreiben, ich will einfach nur die Kontrolle aufgeben. Darin übe ich mich jetzt. Jeden Tag über 10’000 Zeichen hinweg. Und dann werden wir sehen.
    Es gibt im Leben Augenblicke, in denen einem nichts anderes übrig bleibt, als die Kontrolle aufzugeben.”
    aus “Brida” von Paulo Coelho
    Morgen steige ich mit dem Wort Schwimmflügelchen ein. Ich liebe dieses Wort. Für heute reichen mir die 6249 Zeichen.
    Eine gute Nacht allen Schreiberinnen.

    • Milena Moser meint

      @ Barbara: ich freu mich so, dass dieser gestreckte Galopp bei dir so gut funktioniert – Rennpferde, so hat man mir mal erklärt, galoppieren so schnell, dass sie sich ei fast überschlagen, sie rennen vor dem eigenen Stolpern davon und können deshalb nicht langsamer werden – eigentlich kein sehr beruhigendes Bild – aber egal, Hauptsache es funktioniert, und du schreibst!

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