Die Göttin der einfachsten Dinge

Beim Versuch, ein Ei zu kochen, beziehungsweise dieses offensichtlich nicht lange genug gekochte Ei von seiner Schale zu befreien und in meinen Salat zu schneiden, stelle ich mich derart ungeschickt an, dass die Küchenablage bald mit Eigelb verschmiert ist und ich mich auch am Ende sogar noch verletze. An Eierschalen schneidet man sich wie an Papierkanten, es tut erstaunlich weh und hört auch nicht auf zu bluten. Ich wickle mir ein Küchentuch um den Daumen, trage den Teller zum Tisch, kann ihn aber mit dieser ungeschickt eingewickelten Hand nicht wirklich halten und –

It’s not easy being me!

Ich trete aus mir heraus, stelle mich neben mich und denke: Das Leben wäre vermutlich einfacher, wenn ich nicht in Gedanken immer woanders wäre. Was ist jetzt mit dem Hier und Jetzt, Frau Meditationsschülerin? In Gedanken bin ich nicht hier, sondern in meiner Geschichte. Das führt unweigerlich zu Problemen, andererseits füttern die Missgeschicke, die aus meinem nicht Hier und Jetzt, sondern ganz woanders Sein entstehen, ja auch meine Geschichte.

So weit, so gut. Doch plötzlich weiss ich nicht mehr, wer da mit dem nicht hart genug gekochten Ei kämpft. Ist es Nevada, deren Hände krankheitsbedingt manchmal den Dienst versagen? Oder bin das ich? Wird das eine Kolumne, ist das Teil des Romans? Bis Ende dieses Monats muss ich noch vier reguläre Kolumnen und zwei Texte zu vorgegebenen Themen abliefern. Ende Monat ist übermorgen.

Normalerweise kommen sich Kolumne und Roman nicht in den Weg. Im Gegenteil: Das regelmässige Abschöpfen des Schaums, der auf meiner leise vor sich hinköchelnden Gedankensuppe schwimmt, macht das Herausfischen der Romanbrocken einfacher. Doch jetzt hab ich offensichtlich zu viele ähhh… shit, jetzt ist mir wieder das Bild entgleist – zu viele Töpfe auf dem Feuer? Zu vielle Kellen in der Suppe? Da fällt mir ein, die praktischen Kellen-Clips von Betty Bossi, die ein solches Drama wirkungsvoll verhindern, indem sie die Kellen am Topfrand festhalten, sind im grossen Haus geblieben. Wieder mal typisch.

Also, so geht das nicht. Ich unterbreche also meinen Romanschreibrhythmus für ein paar Tage, bis ich diese Texte mindestens zu Faden geschlagen habe. Dann galoppiere ich im gewohnten Selbstüberlistungsrhythmus weiter. Daneben überarbeitete ich die kurzen Texte. Das geht dann wieder.

Und ich kaufe mir seltsame Stäbchen aus gepresstem Krabbenfleisch, die man auch in den Salat schnetzeln kann. Dann muss man keine Eier kochen. Mittags esse ich eben immer einen Salat, das habe ich von meiner Mutter: Am Mittag was Grünes! Aber nur grün macht ja nicht satt. Und harte Eier sind so kompliziert. Also diese Sticks. Die seien gut, sagt eine Freundin. Was sie mir nicht sagt, ist dass man sie auspacken muss, bevor man sie in Stücke schneiden kann. Die durchsichtige Plastikfolie ist nicht essbar.

Dies nur zur Warnung an alle anderen in Gedanken versunkenen.

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Leser-Interaktionen

15 Kommentare

Kommentare

  1. Yvonne meint

    Liebe Frau Moser
    Einfach herrlich; ich muss schmunzeln…. Ich freue mich jede Woche auf die Schweizer Familie, weil ich weiss, dass ich dort immer in der „Kolumne“ so tolle Geschichten von Ihnen lesen darf.
    Weiterhin viel Spass beim Schreiben und eine schöne Winterwoche wünscht Ihnen Yvonne

  2. René meint

    Geschätzte Milena
    Die Ordnung ist dem kreativen Schreiben wenig hilfreich, wenn auch kein Kunstwerk ohne diese auskommt. Auch der Leser kommt nicht ganz ohne sie aus, denn er braucht erkennbare Strukturen, die ihn beim Lesen lenken. Doch wie kommt man über den chaotischen Schreibprozess zu einem Werk wie der „Putzfraueninsel“, deren Geschichte klassisch aktuell, deren Handlung glasklar strukturiert und deren Figuren so unglaublich lebensnah sind, dass das Buch zwanzig Jahren nach der ersten Auflage immer noch – Jugendliche und Erwachsene – in Bann zieht? Einfacher und schwieriger zugleich stelle ich mir das Projekt der „Flowers in your hair“ vor, dem die autobiographischen Abenteuer Leben einhauchen und dessen berührender authentischer Ton – vermutlich – zu einem Teil dem achterbahnähnlichen Schreibprozess geschuldet ist. Was macht man aber mit den unzähligen spannenden und reizvollen Figuren, damit man nicht die Leserin oder den Leser überfordert?
    René

  3. Claudine meint

    Hallo Milena
    Eier kann man auch bereits gekocht kaufen ;-) Hab immer welche im Kühlschrank.
    Und Salat gibts bei mir mittags auch immer. Weil ich gerne Salat habe, aber auch, weil es in der Kantine für Vegis in den Menüs kein Eiweiss gibt. Beim Salat kann ich aber auch Eier, Crevetten oder Thunfisch dazu mischen.

    Gruss Claudine

    • neitil meint

      Superschon geeshriebcn; so spannend und emotional. Wenn ich dieses lese, kann ich mich etwas hineindenken. Gerne wurde ich weiterlesen. Eure Nachbarin

  4. Isabel meint

    Ich bin beruhigt, dass Marcel noch lebt. Bei mir hat er immer Sympathien, schon alleine deswegen, weil mein Sohn so heisst. Wie würden wir schreibenden Widerstandsgeist und Durchhaltevermögen entwickeln, wenn der Affe nicht wäre? Heute morgen bestätigt mir auch der Tagi: Du würdest nicht mehr so viel morden. Literarisch gesehen (mit bedauerndem Unterton?). Ich habe mich gefreut, dass du sozusagen auf meinem Frühstückstisch gelandet bist, ganz eierschalenunverletzt. Was fehlte, und was vielleicht das Geheimnis Deines Erfolgs mit ausmacht: dein einzigartiger Zugang zu deinen Leserinnen und Lesern, zu deinen Schreibkindern. Im wirklichen Austausch mit den Menschen lernt man sie, zu lieben. Weniger Mord, mehr Tiefe, vielleicht auch mehr Abgründe. Und sind nicht die anderen Menschen ein Spiegel von uns selbst?

    • Milena Moser meint

      Danke Isabel, ja, der Text war etwas nostalgisch, aber wenn das das Einzige ist, was man mir vorwirft, dass ich nicht mehr gleich schreibe/bin wie vor 22 Jahren…
      Ausserdem – witzig – kommt durchaus ein Mord vor in dem Buch…

  5. Eva Ellendorff meint

    Liebe Milena, vielleicht rollst Du die harten Eier auf der Tischplatte hin und her mit etwas Druck, dann zersplittert die Schale so, dass es ohne Verletzungen gehen sollte…die Krabbensticks sind – zuminderst bei uns in Deutschland – nicht zu empfehlen, weil der Krabbenanteil wohl gegen Null geht. Ich nehme gerne geräucherten Lachs – auch ohne die Folie :-) – und viel gehobelten Parmesan, gut für die Knochen.
    Also, mit dem Kochen klappt es bei mir wunderbar (leider), aber so manche Unterhaltung leidet darunter, dass ich in Gedanken zu oft in meiner Geschichte bin. Und ich glaube, ich bin zu oft im Denkmodus und sollte öfter im es-schreibt- mich-Modus sein.
    Vielleicht brauche ich auch wieder ein paar Stunden bei Dir, liebe Milena, nur von Köln aus etwas schwieriger…
    Bis bald, passe gut auf Deine Finger auf
    herzlichst
    Eva

    • Milena Moser meint

      @ Eva: ich denke langsam über Kurse in Deutschland nach, du bist ja nicht die Einzige, die die lange Reise nach Aarau auf sich nimmt…. Wer weiss? und das mit dem auf der Tischplatte rollen – eben, wenn das Ei noch gar nicht hartgekocht genug ist – Desaster! Zum wieder in den Schreibmodus kommen, genügen zehn Minuten: ab jetzt. Ich stoppe!

    • Eva Ellendorff meint

      Liebe Milena, wunderbar mit der Idee eines Schreibkurses in Deutschland. Nimm doch bitte Köln :-), liegt auch ganz zentral. Ist für Dich dann wahrscheinlich mit vielen Kosten verbunden…Aber für so ein Wochenende würdest Du bestimmt genügend Teilnehmer finden… wir sollten drüber sprechen, wenn Du möchtest, vielleicht könnte ich Dir behilflich sein.
      War auch wieder fleißig, habe schon am frühen Morgen geschrieben, das ist meine Zeit: bevor in den Häusern ringsum das Licht angeht – oder habe ich gemerkt, dass Du mich gestoppt hast?
      Herzlichst
      Eva

  6. Isabel meint

    Ratgeber Eieiei:
    1. Sei das Ei! (Somit wäre das Meditationsproblem gelöst)
    2. Rührei statt gekochte Eier. Man teile das Ei an der scharfen Kante einer Schüssel und befördere es in selbige. Falls ein paar Schalen darin landen – so what! Entweder liest man aus ihnen das Orakel, oder man betrachtet sie als willkommene Calciumzufuhr. Und dann kommt der rührende Teil. Rührei ist wie eine Geschichte: alles hat darin Platz!
    3. Fasten! Die Visionen, die dabei entstehen, sind unbezahlbar…glaube ich. Probiert habe ich’s noch nicht, ich esse zu gerne. Aber nicht versehentlich verhungern!
    4. Nimm’s kreativ! ‚Milena konnte es kaum glauben: Er meinte tatsächlich, Marcel habe durch sie die Reise ins Jenseits angetreten. So viel sei sicher, sagte Inspektor Cumulus, der Mörder habe sich an dem Messer selbst verletzt, das Klappmesser trüge noch andere DNS-Spuren. Ob sie gütigerweise…ein einfacher DNS-Test, sie verstehe, wegen der Verletzung an ihrer Hand. Selbstverständlich, natürlich glaube er ihr, dass sie sich an einer EIERSCHALE verletzt habe…reine Routine…‘

    Ach, Milena, ist das herrlich – ich habe soo lachen müssen! Ich bin eher der Stolpertyp, wenn ich in Gedanken bin, und die Leute haben mich – und vor allem meinen Mann – schon komisch angeschaut, als mein Auge blau war, und kurze Zeit später meine Knie!

    Liebe Grüsse
    Isabel

    • Milena Moser meint

      @ Isabel: Marcel lebt! Aber vielleicht wird er an den nicht-Krabbenteilen ersticken!
      @ Karin: Oh Gott, sag’s mir nicht! Sag mir lieber, was ich nun essen soll – Avocados????

  7. Karin meint

    Danke für die Warnung. :-) Komisch, kochen kriege ich auch hin, wenn ich tief in einer Geschichte stecke. Das ist für mich Meditation: Gemüse in Julienne und Brunois häckseln und in Töpfen rühren, Gerüche aufnehmen. Da kann ich wunderbar entspannen und die Geschichte auf kleiner Flamme simmern lassen.
    Ich schreibe dir lieber nicht, woraus dieses besagte Krabbenfleisch besteht. Nur ein Tipp: Nicht unbedingt aus Krabben! Also falls du Surimi meinst.
    Alles Liebe und bon apetit
    Karin

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