It’s Déjà-Vu all over again!

Plötzlich habe ich ein déjà-vu: Ich stehe am Bahnhof Glarus und warte auf den 21.43 nach Ziegelbrücke. Doch der fällt wegen Gleisarbeiten aus. Der Ersatzbus musste schon zehn Minuten früher losfahren, weil die Strasse nun mal länger ist als die Schienen. So stehe ich 50 Minuten lang in der bitteren Kälte, die Bise fährt durch meinen dünnen Mantel, ich kann direkt spüren, wie ich krank werde.

Das ist der Lesereisen Blues… Alle Jahre wieder! Wie oft habe ich hier dieselben Geschichten erzählt: Vom Warten auf zugigen Bahnhöfen, Erkältungsdoping mit Panadol, Antigrippine, Neocitran, Aspirin C, von der knochentiefen Müdigkeit, wenn das Auftritts-Hoch verflogen ist…. Und doch ist diesmal alles anders. Same same but different: Es macht mir nichts aus.

Einmal musste ich bei bitterster Kälte wieder und wieder einen eisigen Weg entlang stapfen, auf eine Fernsehkamera zu. Hinter mir schnaubte ein Pferd. Die Redaktorin entschuldigte sich: „Wir haben dich doch letztes Mal schon so geplagt, vor zwei Jahren!“ Stimmt, damals war es auch kalt und ich war auch krank. Doch damals war mir das die ganze Zeit bewusst: „Oh Shit, es ist kalt! Ich werde minütlich kränker! Ich will nachhause! Warum dauert das so lange? Haben sie nicht gesagt, eine Stunde? Wann kann ich nachhause?“ Und so weiter. Zen und die Kunst, sich ins Unglück zu schrauben! Heute stelle ich wohl dasselbe fest – es ist kalt, ich bin krank, ich bin müde – aber ohne diese dramatischen Ausrufezeichen. Es ist halt einfach so, und im nächsten Moment ist es nicht mehr so.

In Thun zum Beispiel pfiff erst das Mikrophon ganz ekelhaft und anhaltend. Aber irgendwann bekamen wir die Technik in den Griff. Gerade, als der Ton super eingestellt war, schliff mir ein Hustenanfall die Stimme weg. Jenu, dann dauert es halt einen Moment oder zwei, bis ich weiterlese. Es hat niemanden gestört, mich auch nicht. Auf dem Heimweg esse ich die Brötchen, die mir der fürsorgliche Buchhändler eingepackt hat und werfe noch zwei Panadol ein. Ich bin zwar müde, aber ich weiss ja, dass ich früher oder später im Bett liegen werde. Ich denke nicht darüber nach.

Die Umstände mögen dieselben sein. Ich bin eine andere.

Seit ich hier bin, werde ich ständig damit konfrontiert. Wie sehr ich mich verändert habe. „Sie sind so ruhig!“ „Du wirkst so entspannt.“ Ich erinnere mich kaum mehr an diesen konstanten Druck, diese Hetze von früher. An das nagende Gefühl nicht zu genügen, dem Stundenplan hinterherzuhinken, die Bälle nicht in der Luft halten zu können. Dabei ist es gar nicht so lange her.  Ich erinnere mich an die abgekämpfte Schriftstellerin auf der Lesetour von zwei Jahren und bedauere sie ein wenig. Es ist, als ob sie eine andere wäre. Ich habe mich aus meinem Leben hinausgeschrieben. Ich habe mir mein Leben neu geschrieben.

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Leser-Interaktionen

10 Kommentare

Kommentare

  1. Verena Sigrist meint

    Liebe Milena
    Eben komme ich von Deiner Vorlesung. Es hat mich sehr gefreut, Dich mal so „hautnah“ erleben zu dürfen. Du hast wunderbar vorgelesen! Schade hat der Michael nicht gleich noch das Lied dazu gesungen…!
    (Deine roten Stiefel haben mir auch sehr gut gefallen!)…
    Leider war ich immer noch nicht in Santa Fé! Aber was nicht ist kann noch werden.
    Gute Heimreise!
    Verena

  2. Marianne Feller meint

    So toll,es passt einfach! Ich kann mich leider nicht aus meinem Leben „herausschreiben“,(die Gedanken bleiben in meinem Kopf) aber ich habe das Gefühl, dass ich endlich angekommen bin und nur beeinflussen kann, wie ich auf aeussere Umstande reagiere.Welche große Erleichterung! (Obwohl mir das nicht immer gelingt!)

  3. regenfrau meint

    Liebe Milena,
    was für eine wunderbare Entwicklung! Die äußeren Umstände können wir ja nicht wirklich beeinflussen. Uns selbst schon. Und dir ist das ganz wunderbar gelungen! :)
    An deine letzte Lesereise erinnere ich mich noch gut. Ich hatte gerade gekündigt und mir fiel die Decke auf den Kopf, also beschloss ich ein paar Tage wegzufahren. Der Bodensee zieht mich immer an und dass du in Friedrichshafen lesen würdest, nahm ich als Wiink des Schicksals.
    Heuer hat es nicht geklappt, aber wer weiß, vielleicht beim nächsten Buch?

  4. Karin Reber meint

    Liebe Milena, das quietschende Mikrofon hat wieder einmal deutlich gemacht, dass für einen perfekten Abend nicht alles perfekt sein muss. Im Gegenteil!
    Es war schön, dich so echt live zu erleben.
    Herzlich, Karin

  5. Heide Kuhn-Winkler meint

    „Ich habe mich aus meinem Leben hinausgeschrieben. Ich habe mir mein Leben neu geschrieben“, befindest Du, liebe Milena.
    Seit ich Dein Buch gelesen habe, ist mir einmal mehr klar, wie wichtig es ist, seine Träume ernst zu nehmen. Nicht nur darüber nachdenken, was man ändern will (oder muss), sondern es TUN!
    Danke fürs Aufrütteln!

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