A(nother) room of my own.

„Warum macht dich das jetzt so glücklich?“, fragt frech ein alter Freund. „Das ist doch nicht dein erster eigener Schreibort!“ Ich habe ihm von dem hellblauen Gartenhäuschen erzählt, dass zwischen Victors Rosenbüschen steht. Von den Wänden, die ich erst weiss und dann doch gelb gestrichen habe, vom selbst verlegten Boden, der fast aussieht wie Holz und von den bunten Lampions, die am Fenster hängen. Ganz fertig ist es noch nicht, so muss ich immer noch ein Verlängerungskabel durchs Fenster hängen. Es riecht immer noch nach Farbe. Die Kaffeemaschine läuft auch noch nicht. Und doch macht es mich unsinnig glücklich, morgens durch den noch kühlen Garten zu gehen, Kaffeetasse und Laptop balancierend, über die Holzbretter zu steigen und die Tür zu meinem 7 Quadratmeter grossen Schreibstübchen zu öffnen. Dabei habe ich immer behauptet – und auch geglaubt! – , es komme gar nicht so sehr darauf an, wo man schreibe – nur, ob man schreibe. Regelmässig und ohne Unterbruch. A room of one’s own fand ich immer weniger wichtig als some time of one’s own.  Ausserdem wollte ich mich nicht abhängig machen. Es gibt so viele Mythen um Schriftsteller und ihre magischen Orte. Thomas Mann, der in jedem Exil funktionieren konnte, wenn er nur seine „Sächelchen“ hatte, die genau so und so auf dem Schreibtisch arrangiert sein mussten. Friederike Mayröcker, die „seit Jahren nur in diesem Thonet-Sessel mit den Armlehnen“ schreiben kann. Was, wenn das Schiff untergeht, das die Kiste mit den Sächelchen geladen hat? Was, wenn der Thonet-Sessel zusammenkracht? Ich bewies mir meine Unabhängigkeit, in dem ich überall schrieb. Wo immer ich gerade ungestört war.

Im zweiten Stock des alten Bahnhofgebäudes in Oerlikon.

In einem Wandschrank in San Francisco.

In unzähligen Kaffeehäusern.

Immer wieder im Regionalexpress zwischen Aarau und Zürich.

Auf diversen Sofas.

Und natürlich in meinem geliebten Kurslokal in Aarau, wo ich weniger oft an meinem eigenen Schreibtisch sass als im „Inspirationsspeicher“ unter dem Dach.

In Santa Fe habe ich nun  eine ganze Casita of my own. Ich schreibe an meinem Schreibtisch mit der selbstgebastelten Platte, die ich mir aus der Schweiz habe nachschicken lassen, bei schönem Wetter (und das ist meistens) am Gartentisch unter der Glyzinie und immer wieder auch in einem von drei Lieblingskaffeehäusern. Und doch – im Gartenhaus schreibe ich anders. Konzentrierter, unabgelenkter. Vielleicht, weil die hellblaue Schuhschachtel exklusiv nur dem Schreiben dient? Es gibt hier nichts, das mich ablenken könnte, nicht, was nicht direkt mit Schreiben zu tun hätte, mit meinem aktuellen Projekten. Und – das Internet reicht nicht bis diesen letzten Winkel des Gartens. Ist es so einfach? Möglicherweise ist es so einfach.

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Leser-Interaktionen

14 Kommentare

Kommentare

  1. Isabel meint

    Liebe Milena
    Richtig heimelig, deine Denkschatzkiste…ich bin gespannt auf dein neues Buch. Schön, dass es dir in Santa Fe so gut geht!

    Herzliche Grüsse
    Isabel

  2. susanne m. meint

    welche überraschung ????????????. in der sf kann ich endlich wieder was interessantes von milena lesen. und dazu strahlt sie sehr viel lebensfreude aus – gratuliere dir von ganzem herzen mit lieben grüssen aus der schweiz

  3. Regula Horlacher meint

    Liebe Milena
    Immer, wenn ich abends das Licht lösche, mich gegen die Wand drehe und in meine Decke kuschle, passiert dasselbe: Sobald mein Bewusstsein in den Schlaf kippen will, scheint mich etwas zurückzuhalten, als ob mir im Schlaf Gefahr drohe, und ich bin mit einem Schlag wieder hellwach.
    Als ob mir im Schlaf Gefahr drohte – so kam mir das bisher vor, und so habe ich es mir auch erklärt. Irgendetwas macht mir Angst davor, sagte ich mir, mich dem Schlaf zu überlassen, weil man im Schlaf ausgeliefert ist, wehrlos. Weil man nicht wachsam sein, Gefahren frühzeitig erkennen und sich dagegen wappnen kann. Besser also, man schläft gar nicht ein. Das ist logisch, das leuchtet ein.
    Aber nun hat mich dein Input über das Schreibhäuschen in Viktors Garten plötzlich dazu gebracht, diese Sache einmal etwas anders zu betrachten. Dafür danke ich dir!! Ich bin nämlich auf die Idee gekommen, den Schlaf mit einer Art „room of one‘s own“ zu vergleichen.

    Man kann überall schreiben, weil das Schreiben selbst schon der „room of my own“ ist, der Freiraum in meinem Inneren, den es mir verschafft. Massgebend ist also tatsächlich nicht der Raum, sondern die Zeit, das stimmt wohl. Ein äusserer eigener Raum ist sozusagen das Tüpfelchen auf dem I. Sicher ist es angenehmer, einen eigenen Raum zur Verfügung zu haben, statt am Küchentisch schreiben zu müssen, auch wenn einem jemand unterdessen nebenan die Kinder hütet und man sich um sie nicht zu sorgen braucht, während man arbeitet – aber unbedingt nötig ist das nicht.
    Ebenso kann man überall schlafen. Auch wenn es zweifellos im eigenen Schlafzimmer bequemer ist, als irgendwo unter einer Brücke.

    Schreiben und Schlafen – beides entführt mich in eine andere Welt. Wenn ich schreibe, bin ich in meiner Gedankenwelt unerreichbar, genauso, wie ich im Schlaf in meinem Bewusstseinszustand unerreichbar bin. Selbstverständlich befinde ich mich schreibend weder im Wahn, noch schlafend im Koma, das heisst, ich könnte jederzeit abgelenkt bzw. geweckt werden, aber darum geht es jetzt nicht. Wesentlich ist die Unzugänglichkeit: Sowohl schreibend als auch schlafend stehe ich niemandem zur Verfügung ausser mir selbst.

    Zum Glück sind wir hier nicht im Mathematikunterricht, wo man ein Resultat nicht einfach präsentieren darf, sondern immer auch erklären muss, wie man es hergeleitet hat. Mir ist, was das Schlafen betrifft, noch etwas Weiteres eingefallen, an dieser Stelle aber zu erläutern, weshalb ich darauf gekommen bin, würde den Rahmen sprengen. Dabei ist meine „Entdeckung“ simpel: Wenn ich schlafe, stehe ich nicht nur niemand anderem zur Verfügung als mir selbst, ich bin auch niemand anderem von Nutzen, und genau da, merkte ich, muss ich ansetzen. Irgendetwas will mich vom Einschlafen abhalten, und zwar nicht – oder nicht nur – weil Schlafen aus was für Gründen auch immer für mich zu gefährlich wäre, sondern, weil ich mich, wenn ich schlafe, nicht nützlich machen kann! Klingt etwas weit hergeholt, das ist mir klar, aber trotzdem: Wäre es nicht möglich, dass irgendetwas oder vielmehr irgendwer, irgendwann und irgendwie auf die Idee gekommen ist, es könnte sich lohnen, mich vom Schlafen abzuhalten, vorgeblich zwar, um mich zu schützen, immer aber auch mit dem Hintergedanken, etwas für sich selbst dabei herauszuholen? So etwa wie es sich für Rumpelstilzchen im Märchen zu lohnen schien, wenn es der Müllerstochter nachts half, das Stroh zu Gold zu spinnen, damit der König sie am Morgen nicht tötete, wie er es ihr in seiner Gier jeden Abend androhte? Was am Anfang ja auch ganz gut klappte: Rumpelstilzchen profitierte zwar nicht vom Gold, zu dem es das Stroh versponnen hatte, das nahm sich der König, aber immerhin gelang es ihm, der Müllerstochter zuerst ihre Halskette und dann ihren Ring abzupressen und schliesslich das Versprechen, ihm ihr Kind zu überlassen, sobald sie ein solches geboren hätte. Das allerdings ging dann in die Hose, wie man so schön sagt, denn die Müllerstochter wollte, als es drauf und dran kam, das Kind unter keinen Umständen mehr abgeben und wehrte sich vehement dagegen. Da der König sie aber inzwischen geheiratet hatte, war sie jetzt reich, so dass sie dem Rumpelstilzchen Gold, Schmuck und Edelsteine in Hülle und Fülle anbieten konnte. Sie war bereit, ihm alles zu geben, nur nicht ihr Kind. Das machte das Rumpelstilzchen misstrauisch und brachte es auf den Geschmack: Wenn die Königin so entschieden und ausdauernd darum kämpfte, musste es sich bei diesem Kind offenbar um etwas handeln, das weit wertvoller war als Gold! Deshalb wollte sich das Rumpelstilzchen verständlicherweise mit Gold nicht mehr begnügen und verlangte nun erst recht nach dem Kind – ich gebe zu, das ist eine ziemlich eigenwillige Interpretation, aber wer weiss, vielleicht ist es ja tatsächlich so gewesen.
    Der Rest der Geschichte ist bekannt, es ist nicht nötig, dass ich ihn hier erzähle.

    Nun ist es ja so, dass sich Märchen auf das richtige Leben übertragen lassen, tiefenpsychologisch, meine ich. Oder das richtige Leben auf die Märchen, ich weiss nicht, wie das genau funktioniert. Nur, dass in meinem Fall etwas schief gelaufen sein muss, weiss ich sicher, denn obwohl ich mein Stroh längst allein verspinnen kann, kaspert das Rumpelstilzchen nach wie vor frisch fröhlich vor meiner Kammer herum und denkt nicht daran, sich in der Luft zu zerreissen: Sein Name – Rumpelstilzchen – ist nämlich Schnee von gestern, es hat schon längst einen neuen …

    Weisst du, was ich glaube, Milena? Einen eigenen Raum zum Schreiben zu haben, ist super und zweifellos ein grosses Privileg. Aber solange sich immer noch ein „Rumpelstilzchen“ vor der Tür – oder gar im Raum selber – herumtreibt, auch nicht mehr als das. Erst wenn dieses Rumpelstilzchen endlich mal weg ist, wird ein solcher Raum zum wirklichen Freiraum. Und darum, vermute ich, bist du nun auch mit deinem Häuschen in Viktors Garten „glücklich und nicht einfach nur normal“. Was meinst du, könnte das zutreffen? Ist es weg, das Rumpelstilzchen? Das würde mich sehr freuen!
    Liebe Grüsse
    Regula

    • Hans Alfred Löffler meint

      Liebe Regula,
      ich antworte Dir auf den Kommentar aus zwei Gründen.
      Erstens würde ich auch aufwachen beim Einschlafen, wenn ich nicht seit über 20 Jahren eine Tablette schlucke, die mich tief und traumlos schlafen lässt. Es gibt ein medizinischer Begriff für das „Nichteinschlafen können“, ich brauche die Tablette die man nur gegen Rezept bekommt.
      Zweitens: Du erzählst da das Ende eines Märchens und machst interessante Vergleiche zum „Schlafen und Schreiben“ samt Schlussfolgerung (denen ich aber nicht vollständig folgen kann).
      Aber ich kann das Ende des Märchens hier abschreiben, so:

      »Neue Namen habe ich keinen einzigen finden können, aber wie ich an einen hohen Berg um die Waldecke kam, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen, so sah ich da ein kleines Haus, und vor dem Haus brannte ein Feuer, und um das Feuer sprang ein gar zu lächerliches Männchen, hüpfte auf einem Bein und schrie:
      Heute back ich,
      Morgen brau ich,
      Übermorgen hol ich der Königin ihr Kind;
      Ach, wie gut ist, dass niemand weiß,
      dass ich Rumpelstilzchen heiß!«

      Da könnt ihr denken, wie die Königin froh war, als sie den Namen hörte, und als bald hernach das Männlein hereintrat und fragte:
      »Nun, Frau Königin, wie heiß ich?«, fragte sie erst:
      »Heißest du Kunz?« »Nein.«
      »Heißest du Heinz?« »Nein.«
      »Heißt du etwa Rumpelstilzchen?«
      »Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der Teufel gesagt«, schrie das Männlein und stieß mit dem rechten Fuß vor Zorn so tief in die Erde, dass es bis an den Leib hineinfuhr, dann packte es in seiner Wut den linken Fuß mit beiden Händen und riss sich selbst mitten entzwei.

      (aus „Grimms Märchen – Vollständige, überarbeitete und illustrierte Ausgabe (HD): Mit hochauflösenden, vollfarbigen Bildern
      (Märchen bei Null Papier)“ von Jacob Ludwig Carl Grimm, Wilhelm Carl Grimm, Carl Offterdinger, Jürgen Schulze)

  4. Cecilia meint

    Wunderbar! Ich freue mich fuer Dich! Was fuer ein magischer Ort. Und ja, Dein Text spricht mir wieder aus dem Herzen. Schreiben ist ueberall moeglich, und doch sind diese kleinen abgeschiedenen Orte wie ein kleines Wunder. Liebe Gruesse!

  5. Gise Kayser-Gantner meint

    … es ist eine Hülle, die vierte Haut, die man noch zur eigenen, der Bekleidung und Wohnung dazu bekommt. Die Reduzierung auf das total Notwendige, um Sphärisches aufs Blatt/Bildschirm zu kriegen – das funktioniert unglaublich gut. Kann Dein Glück nachfühlen …

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