Tut mir leid, aber….

The veil of newly-wed bride Eileen Petticrew flies up in a gust of wind as she poses for photographs with husband Robert Greenhill outside St John the Evangelist Church, Notting Hill, London.   (Photo by Evening Standard/Getty Images)
The veil of newly-wed bride Eileen Petticrew flies up in a gust of wind as she poses for photographs with husband Robert Greenhill outside St John the Evangelist Church, Notting Hill, London. (Photo by Evening Standard/Getty Images)

Letzte Woche in der Schreibgruppe:  „Tut mir leid“, sagte ich. „Aber ich schlag ja immer genau die Übung vor, die ich gerade selber brauche….“

Welche Übung denn? Na eben die: „Tut mir leid, aber….“ In dem Aber ist der Angelhaken versteckt, der eine widerspenstige Figur etwas näher heranzieht. Ich immer noch mit Luigi beschäftigt, der gerade einen Zeitsprung gemacht hat in den dritten Teil des Romans, wo er mit über neunzig im Sterben liegt. Seine Enkelin, die Hauptfigur dieses dritten Teils, damals noch ein Kind, besucht ihn im Krankenhaus. Obwohl sie versucht, sich hinter ihrer Mutter zu verstecken, sieht er sie doch. Er winkt sie ans Bett, ganz nah, so dass ihr dieser Geruch in die Nase steigt, die sie von da an immer mit dem Tod in Verbindung bringen wird. Sie hat Angst. Sie will nicht so nahe bei ihm stehen, sie kennt ihn ja gar nicht. Seine Haut ist gelb und knitterig, nicht wie echte Haut. Und er sagt…

Eben, was? Etwas, das sie zutiefst erschreckt. Etwas, das sie nicht vergessen kann. Ich weiss nicht, was das sein könnte. Noch immer verstehe ich ihn nicht. Nicht ganz. Warum macht er das? Warum denkt er das? „Tut mir leid, aber….“ Was immer nach diesem „aber“ kommt, soll mir Aufschluss geben.

Doch dann bin ich schon wieder ganz woanders. Das passiert mir so gut wie jedes Mal. Ich suche eine Übung aus, von der ich meine, sie würde mich zuverlässig über die gerade aktuelle Hürde heben – und dann führt sie mich wieder ganz woanders hin. Letzte Woche sollte ich ausserdem einen Text für das Strassenmagazin „Surprise“ abgeben. Ein- oder zweimal im Jahr machen die eine Literaturnummer, zu der Schriftsteller möglichst unveröffentlichte Texte beisteuern. Mein Ehrgeiz hat mich immer dazu getrieben, eine neue Geschichte zu schreiben, exklusiv für diese Ausgabe. Das Thema war diesmal frei gestellt, es sollte halt etwas mit Sommer zu tun haben, mit Ferien, mit Reisen. Ich dachte an meine Zugreise vor ein paar Wochen, an die Begegnungen und Gespräche im Speisewagen, die mich immer noch beschäftigten. Daraus wollte ich etwas machen – nur was? Skizziert hatte ich diese Momente schon, doch die Erzählstimme hatte sich noch nicht gemeldet. Es sollte ja nicht meine sein. Es sollte eine Geschichte werden, kein Tagebucheintrag. Und so schlich ich mich rückwärts aus Luigis trostlosem Krankenzimmer und versetzte mich wieder in den Speisewagen des „Southwest Chief“: „Tut mir leid, aber… das mach ich nicht! Ich setze mich nicht zu irgendwelchen Fremden an den Tisch!“ Da war sie, die Stimme, definitiv nicht meine! Wer will sich nicht zu Fremden setzen? Und warum nicht?

Auflösung in der Sommernummer von Surprise!

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Leser-Interaktionen

2 Kommentare

Kommentare

  1. Nila E. Sebastian Berlin meint

    Hier vermenge ich zwei Dinge. Das Tut mir leid, aber … und den Artikel von Melina in Brigitte wir. Tut mir leid, aber meinen Mann teile ich nicht mit einer anderen Frau. Aber dann haben wir doch mit einer zweiten Frau das Tantraritual gefeiert. Weil zuwenig Männer da waren. Wenn es um Männer geht, gibt es keine Solidarität unter Frauen. In unserer nun 38jährigen Partnerschaft erlebte ich das immer wieder. Erst seit wir verheiratet sind, werde ich nicht mehr offen angegriffen. Der Neidfaktor war besonders hoch, weil ich gut 14 Jahre älter bin als mein Mann.

  2. regenfrau meint

    Liebe Milena,
    so und nun überlege ich dauernd, wie ich an die Sommernummer von Surprise komme!
    Ich schreibe momentan immer wieder die gleiche Szene. Mal wird sie länger, mal kürzer, aber noch immer bekomme ich die Reaktion meiner Hauptperson nicht so zu greifen, wie ich gerne möchte. Vielleicht wäre die Übung auch für mich hilfreich…
    Auf Luigi werde ich immer neugieriger, auf sein Leben, seine Familie…

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