Butter und Brot.

images-1Diesen Donnerstag in meiner virtuellen Schreibgruppe: Ich werfe eine meiner Lieblingsübungen auf den Tisch, einfach weil ich sie selber gerade brauchen kann. „Stell dir ein Essen vor, das dir absolut zutiefst zuwider ist. Gib diesen Ekel deiner Figur – aber lass sie anders reagieren als du.“ Es gibt nichts Persönlicheres als Essen – Essen, das man mag, Essen, das man hasst – weil es halt meist mit Kindheitserinnerungen verbunden ist. In jeder Gruppe, in der wir diese Übung machten, kam es zu diesen Reaktionen: „Bratwurst??? Wie kann man Bratwurst nicht mögen, das ist doch etwas Feines!!“ – „Rosenkohl ist doch eine Delikatesse, du hast einfach das nicht das richtige Rezept…“ Selbst ein peruvianisches Meerschweinchenragout fand seine Verteidiger. Weil Essen, wie gesagt, etwas sehr Persönliches ist. Etwas so Persönliches einer Figur „anzuhängen“, gibt dieser Tiefe und Glaubwürdigkeit und bringt sie einem näher. Deshalb habe ich diese Übung ausgesucht: Weil ich meinem Luigi näherkommen wollte, der gerade in diesem gleichzeitig grossartigen und schrecklichen Jungeninternat in den Bergen von Neu-Mexiko angekommen ist.

Das erste, was mir einfiel, war…. Riz Casimir! Ja, lacht nur. Das war mal mein Lieblingsessen – als Kind, in den siebziger Jahren. Doch nachdem ich nach einem Mittagessen schwer verunfallte, waren die warmen Bananenscheiben und Ananasstücke unwiderruflich mit Spital, Schmerzen, Angst verbunden. Nur – Riz Casimir in einer amerikanischen Schule in den 1920er Jahren? Wohl kaum! Ein anderer Teil meiner Geschichte spielt jedoch in den siebziger Jahren. Und obwohl ich da noch gar nicht hinwill, schrieb ich eine Mittagessenszene in einer Hippie-WG, wo der Riz Casimir, den meine noch namenlose Figur auftischt ein Faux-Pas sondergleichen ist. Ob die Szene dann noch passt, wenn ich in diesem Teil der Geschichte ankomme, ist eine andere Frage. Aber nun ist sie da. Und ich weiss schon, wie die Küche aussieht in dieser WG, der Esstisch, wer um den Tisch sitzt….

Dann war die Schreibzeit um und Luigi hing immer noch am Schultor fest. Zum Glück war C derart im Schuss, dass wir gleich noch eine Runde anhängten. Und ich dachte an Butter. Ich hasse Butter. Gebutterte Brotscheiben, im Pfadilager, im Skilager, im Sonntagsschullager. Gebutterte Brotscheiben, die so aufeinander liegen, dass auch die untere Seite Butter abbekommen hat. Heute würde man ja sagen, das Kind hat eine Laktoseintoleranz. Man würde Mandelpaste als Ersatz anbieten. Oder so. Als ich ein Kind war, war es in erster Linie schwierig. Ich weiss noch, wie ich die Rinde abknabberte, den Rest unter der Serviette versteckte, unter den Tisch fallen liess. Nur nicht auffallen! Das kennt Luigi auch…. und schon bin ich im Esssaal der Schule….

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Leser-Interaktionen

6 Kommentare

Kommentare

  1. Hans Alfred Löffler meint

    Jetzt bin ich aber gespannt „wiä n Pfiilbogä“, ich hatte Deinen Blog noch einmal gelesen. Dabei ist mir das „Jungeninternat“ hängen geblieben, in Neu-Mexico. Ich war auch in einem Internat, wir hatten aber auch Mädchen und es wurde Waisenhaus genannt, es stand in Zürich, 1947 bis 1954 wohnte ich dort.
    In Amerika hörte ich einmal in einer Gruppe über ein solches „Jungeninternat“ sprechen, ich wohnte damals US-State Colorado. Du hattest die Worte „großartig und schrecklich“ verwendet, also musst Du Dich mit solchen Institutionen befasst haben.
    Und Riz Casimir mag ich auch nicht, aber gegessen hatte ich es oft. Das war früher, muss aus der Mode gekommen sein. Dafür mag ich Butterbrote, am liebsten mit Salz bestreut, oder mit Zucker oder auch mit Senf.
    Du schreibst auch, dass es „dem Ami“ nicht gibt, auch das stimmt. Ich lebte ja 13 Jahre in den U.S.A. aber bin deshalb kein „Ami“ geworden. Trotzdem wird mich der US-Passport wahrscheinlich überleben.

  2. Regula Horlacher meint

    „Es gibt nichts Persönlicheres als Essen“, schreibst du, Milena, und ich frage mich, ob das wohl der Grund sein könnte, weshalb mir manchmal vorkommt, dass Essen vielleicht prinzipiell mehr ist, als blosse Nahrungsaufnahme, was es doch, rein sachlich betrachtet, eigentlich wäre. Und dass bestimmte Vorlieben für den einen bzw. Abneigungen gegen den anderen Geschmack weit mehr nach sich ziehen, als nur gerade den augenblicklichen Genuss, bzw. Abscheu, den eine Speise im Mund eines Einzelnen hervorruft.
    In deinem Input ist von einem Kind die Rede (du selbst warst dieses Kind, aber es könnte auch irgendein anderes gewesen sein), das Butter nicht mag und deshalb keine Butter essen will. Nichts weiter. Es gibt in diesem Butter-Kind-Beispiel weder Grund zu einem Machtkampf, weil die Erhaltung der Gesundheit des Kindes gefährdet ist – niemand muss Butter essen, um gesund zu bleiben, im Gegenteil -, noch stellt das Kind irgendwelche Arbeit oder Kosten verursachenden Ansprüche, es möchte nur Eines, nämlich in Ruhe Brot ohne Butter essen, während alle anderen Brot mit Butter essen. Das Kind hat ein Bedürfnis, das faktisch für niemanden ausser ihm selbst von Bedeutung ist und dessen Befriedigung niemanden in irgendeiner Weise tangieren oder belästigen würde, aber was tut dieses Kind? Es knabbert die Rinde ab und lässt den gebutterten Rest der Brotscheibe in der Serviette oder unter dem Tisch verschwinden! Warum? Warum geht es lieber hungrig ins Bett, als sich für sein Bedürfnis einzusetzen? Warum steht es nicht einfach vom Tisch auf, um in der Küche nach einem Stück Brot ohne Butter zu fragen? Was befürchtet es? Eine Ohrfeige, wie sie Pip in Dickens „Grosse Erwartungen“ angesichts einer solch extravaganten Bitte von seiner rabiaten Schwester, die ihn nach dem Tod der Eltern an Kindesstatt angenommen hatte, zweifellos kassiert hätte? Das ist unrealistisch! Kein Kind in einem mitteleuropäischen Ski- oder Was-auch-immer-Lager musste sich in den 1970er-Jahren noch davor fürchten, von der Köchin geohrfeigt zu werden, nur weil es sich erfrechte, um ein Stück Brot ohne Butter zu bitten! Wovor also hat dieses Kind Angst? Denn es hat Angst, daran besteht kein Zweifel, und ich kann das sehr gut nachfühlen. Ich hätte auch Angst gehabt! Ich habe heute noch Angst, wenn ich mich in einer solchen Situation befinde. Oder zumindest überkommt mich ein sehr unangenehmes Gefühl.
    Man muss es sich vorstellen: Ich sitze mit anderen am Tisch beim Essen. Plötzlich stehe ich ohne Begründung auf. Obwohl es für niemanden von Belang ist, fragt mich ganz bestimmt irgendjemand: „Wohin gehst du?“ – und schon bin ich im Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit, also genau dort, wo ich niemals hinwollte. (Oder doch schon, selbstverständlich, aber ganz bestimmt nicht, wegen meiner zufälligen Abneigung gegen Butter oder weil ich gerade zur Toilette muss, sondern weil ich ein Buch geschrieben habe und andere Texte, von denen ich gerne hätte, dass sie gelesen werden. Doch das nur nebenbei.)
    Um auf die Skilager-Butter-Situation zurückzukommen: Ich (in der Rolle des Kindes, das keine Butter mag) antworte also, vermutlich errötend, weil mich die oben erwähnte Aufmerksamkeit verunsichert: „In die Küche, Brot holen!“
    „Hier hat es doch Brot!“, entgegnet irgendjemand.
    „Ja, aber ich hab nicht gern Butter!“, stottere ich.
    Natürlich liegt es im Bereich des Möglichen, dass sich in meiner Nähe zufällig ein Kind befindet, das jetzt erleichtert sagt: „Oh, ich auch nicht! Gehen wir zusammen?“, und dass die Köchin in der Küche freundlich lächelnd, ohne Umstände jedem von uns ein Stück Brot in die Hand drückt. (Vielleicht denkt sie sogar am nächsten Tag daran, auch ein paar Teller mit unbestrichenen Broten auf den Tischen zu verteilen…)
    Meiner Erfahrung nach wahrscheinlicher ist allerdings, dass irgendjemand am Tisch eine blöde Bemerkung macht, „Hihi, die mag keine Butter!“ oder etwas ähnlich Doof-Nichtssagendes. Und dass die Köchin in der Küche mir zwar ein Stück Brot gibt, um das ich sie gebeten habe, es aber gleichzeitig für nötig hält, mich mit einem wissenden Blick zu taxieren, bevor sie gedankenschwer sagt: „Soso, Brot willst du also!“ oder „Soso, du magst also keine Butter!“

    Als Kind wurde ich gelehrt, mich nicht darum zu kümmern, was andere über mich denken könnten. Ich sollte über der Sache stehen. Den Mut aufbringen, mich frei zu äussern und für meine Belange einzustehen. Das ist schön und gut. Nur wie ich das bewerkstelligen sollte, war mir nie wirklich klar – und ist es bis heute nicht. Ganz konkret, meine ich. Letzthin habe ich ein Buch von Monique Schwitter gelesen. Es trug den Titel „Ohren haben keine Lider“. Ohren haben keine Lider, ja. Das ist eine Tatsache, die man nicht unterschätzen sollte, finde ich. Es wird so viel geredet. Und nicht alles was belanglos erscheint, ist es auch.

  3. Kurt J. Landolf meint

    Lieb Milena: erst schreiben, dann denken: du hast’s erfasst. Wie geht’s in Santa Fe? Reicht das Geld? Oder bracuhst du Nachschub?
    Ich bin zur Zeit hier in Thun. Kennst du Thun? Ein kleines Städtchen mit ca. 40’000 Einwophnern.
    Melde dich doch mal, dann könnten wir wieder einmal zusammen Texte erfinden, gell!?
    So Long and take it easy
    Kurt

  4. regenfrau meint

    Liebe Milena,
    aahhhhh! Die Essensbeschreibung! Da fällt mir auf der Stelle wieder die arme Anna ein, wie sie die Kutteln versucht runterzuwürgen und ihr Bruder eine diebische Freude daran hat, von seinem Teller noch mehr auf ihres zu schaufeln!
    Die muss ich unbedingt bald wieder machen!

    Riz Casimir kannte ich gar nicht. Also – das Essen schon, aber nicht die Bezeichnung. Mir fällt nur einfach nicht mehr ein, wie es bei uns hieß. Gab es aber zur gleichen Zeit, zu der man auch Toast Hawai auf jeder Speisekarte fand! :D

    • Hunziker Christina meint

      > Regenfrau: Habt Ihr das Riz Casimir evt. Riz Colonial genannt? Ich bring das auch etwa zur „Toast Hawaii-Zeit“ unter. Ob das ein und dasselbe war?
      By the way: Hab‘ letztes Wochenende grosse Toasbrotscheiben gekauft, währschaften Bauernschinken, ein Büchsli Ananasringe und ein Minigläschen rote Kirschen. Du errätst es: Purer Retrogenuss! Fehlte nur noch eine Diaschau aus den Siebzigern …

    • Hunziker Christina meint

      >zu meinem Kommentar an Regenfrau: Wie ich Autokorrektur hasse! „Toasbrotscheiben“ und „Minig-läschen“ – also wirklich.

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