Die Schreibgruppe – Aufzucht und Pflege.

4015365989_854bf1267dNicht nur für Heather, die danach gefragt hat, sondern auch weil heute Donnerstag ist und ich die kaum gegründete Schreibgruppe bereits zum ersten Mal verpasse…. Nun gut, ich bin zweitausend Kilometer weit weg, aber ist das wirklich eine Entschuldigung? Und ist überhaupt noch Donnerstag? Das sagt schon alles: Die Schreibgruppe fordert Rechenschaft. Das ist nicht alles, aber das ist das Wichtigste. Und manchmal ist es genug. Zu wissen, dass andere nachfragen werden: „Und, hast du geschrieben?“ Aber ihr wolltet nicht wissen, warum man eine Schreibgruppe gründen soll, sondern wie. Das ist ganz einfach: Mindestens zwei Schreibende treffen sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort und schreiben. Und reden über das Schreiben. Das ist alles.

In meiner Gruppe wird ausserdem ein bisschen Meditation eingebaut, eine Gewohnheit, die mir aus den Zen-Schreib-Kursen mit Sara Kokyo Wildi in Aarau geblieben ist. Zu Beginn, in dere Mitte und am Schluss der Schreibzeit zählen wir zehn Minuten lang unsere Atemzüge von eins bis zehn. Manchmal stelle ich mir dazu einen Scheibenwischer vor, der alle meine Vorstellungen wegwischt, was ich denn nun als nächstes schreiben soll und wie…. was ich gerade geschrieben habe und wie… Manchmal machen wir eine einfache Übung. Meine liebsten habe ich in diesen Roman eingeschmuggelt. Ansonsten schreiben wir schweigend und möglichst schnell, ohne viel zu überlegen.

Dann reden wir: Was ist passiert, wie hat es sich angefühlt, welche Fragen haben sich unterwegs gestellt? Nicht im Sinn einer Nabelschau, sondern ganz pragmatisch. Wir kommen nun mal nicht darum herum, uns selber zu beobachten, zu analysieren, kennenzulernen. Wir müssen wissen, wie wir als Schreibende funktionieren, was wir brauchen, was nicht, was wir können, was nicht. Wir sind nicht nur das Material, wir sind auch das Werkzeug.

Irgendwann kann man natürlich Textstellen vorlesen und diskutieren. Aber nicht gleich sofort. Das grösste Missversständnis ist ja, dass Schreiben eine zielorientierte Tätigkeit ist, dass es erst wirklich „gilt“ oder einen Wert hat, wenn es von anderen gelesen und für gut befunden wurde. Deshalb habe ich in meinen Gruppen die Regel, dass nur Textstellen vorgelesen werden, in denen man sich verheddert, verloren, verrannt hat. Nicht die, auf die man besonders stolz ist.

Natürlich wollen wir von anderen gelesen und für gut befunden werden! Das versteht sich von selber. Aber um das zu erreichen, müssen wir es erst einmal vergesen. Wir müssen uns auf das Schreiben stürzen, nicht auf das Geschrieben haben. Im Schreiben selber finden wir mehr – als wir geahnt haben, als wir wissen wollten, mehr als wir zu können glaubten. Je sicherer wir sind, dass wir genau die Geschichte erzählen, die wir erzählen müssen und zwar genau so, wie es diese spezifische Geschichte fordert – desto unabhängiger werden wir vom Urteil anderer. Dazu brauchen wir die Unterstützung der Gruppe, Ihre Solidarität, ihre Inspiration.

Letztes Mal haben wir über Beschreibungen gesprochen – auch da gibt es keine festen Regeln, wie viel beschreibt man, wie detailliert? Von Thomas Mann bis Peter Bichsel wurde alles gemacht, ist alles möglich. Interesant ist es, herauszufinden, wo man sich selber auf dieser Skala zwischen alles oder nichts bewegt. C bemerkte ganz nebenbei, dass sie auch Innenarchitektin hätte werden können – das setzte sich in mir fest und plötzlich fing ich an. Räume, Einrichtungen zu sehen und zu beschreiben. Ich begann, die Verbindung zu ahnen zwischen dem, was um die Figur herum ist und was in ihr drin passiert. Ich verstand etwas, was ich vorher nicht gewusst hatte. Dadurch rutschte die ganze Geschichte in eine etwas andere Richtung. Das heisst nicht, dass diese Beschreibungen zwingend im Text bleiben. Aber ohne die Diskussion mit C wäre ich nie darauf gekommen, dass Giovanni ja gar nicht wirklich…. sondern viel eher…. und so weiter.

Also: Donnerstag Nachmittag, 3 bis 5, OK? Wo immer wir gerade sind.

Über die neuesten Blogbeiträge informiert bleiben

  • Dieses Feld dient zur Validierung und sollte nicht verändert werden.

Leser-Interaktionen

13 Kommentare

Kommentare

  1. Elisabeth Ursprung meint

    Liebe Milena Moser
    eben habe ich das Buch „Das Glück sieht immer anders aus“ gelesen. In vielen Passagen (Tanzen, Männer) habe ich mich selbst wiedergefunden. Kompliment,so persönlich zu schreiben. Ich selbst habe den Mut nicht: Ich denke mir immer wieder, dass schon alles gesagt wurde, schon alles abgehandelt wurde. Ich suche die Idee, meine Idee, meine Form…

    • Milena Moser meint

      @ Elisabeth: Gut möglich, dass alles schon mal gesagt wurde – aber eben nicht von dir. Das Eigene, das, was nur du so empfinden/beobachten/umsetzen kannst, musst du nicht suchen, das ist schon da. Es verteckt sich nur unter einem Berg von Zweifeln…

  2. Claudia Freund meint

    Ja, seit wir mit der Schreibgruppe begonnen haben , träume ich wieder unglaublich viel! Ich komme kaum nach mit Aufschreiben. Ich habe jetzt meinen Träume-Folder in meinen Writings – Folder reingetan weil immer wenn ich denke, das hat jetzt aber wirklich nichts zu tun mit der Geschichte, kommt mir sofort eine Idee … ob sie brauchbar ist, weiss ich nicht aber immerhin. Vielleicht ist es einfach der Humus auf dem dann die Geschichte besser wachsen kann. Danke liebe Milena!

  3. Regula Horlacher meint

    Liebe Milena – ich schreibe seit Anfang Januar wieder am Rahel-Roman. Rahel ist jetzt „Ich“ :-)
    Das waren noch Zeiten! Erinnerst du dich? Ich hatte gerade den Text über meine Vorfahren geschrieben, von dem du fandest, er sei mein sprachlicher Durchbruch, worauf ich mir natürlich ziemlich viel einbildete …

    „Dorothee hatte mir einen Platz in einem Kurs vermittelt, den ihre Lektorin Brigitte Hermann in Zürich gab. Er begann am 4. September und fand jede Woche am Donnerstagabend statt. Brigitte sei streng, hatte mich Dorothee gewarnt, ich solle mich aber nicht einschüchtern lassen, sie meine es gut. Sie habe einen unbestechlichen Blick, und ich könne enorm viel von ihr profitieren. Das wollte ich. Und ich dachte gar nicht daran, mich vor Brigittes Urteil zu fürchten, ich war zuversichtlich. Die erste Aufgabe, die sie mir und den anderen Kursteilnehmerinnen stellte, war die Beschreibung eines Schauplatzes. Eines „Settings“, wie sie es nannte. Ich nahm mir denselben Textausschnitt vor, den ich für Dorothees Werkstattlesung ausgewählt hatte: Den Spaziergang meiner Protagonistin Lea am Neujahrsmorgen auf einen Hügel vor dem Dorf ihrer Kindheit. Ich liess alles weg, was mir auch nur im Geringsten überflüssig erschien. Die kurzen Sätze klangen sehr gut, fand ich, und die Beschreibung in dieser knappen Form kam mir klar, beinahe durchsichtig vor. Mir hatte der Text schon immer gefallen – Dorothee auch – aber jetzt, in meine neue Sprache übersetzt, gefiel er mir noch besser. Ich war stolz auf meine Leistung. So stolz, dass ich mich noch im Zug nach Zürich den anderen Kursteilnehmerinnen überlegen fühlte. Brigitte ging anders vor als Dorothee. Wir mussten ihr und den Kurskolleginnen unsere Texte im Voraus schicken, und mir war auch rasch klar geworden, warum sie das so wollte: Wenn man einen Text vor Augen hatte, bekam man viel mehr mit, als wenn man ihn nur hörte. Mir waren beim Lesen Wortwiederholungen aufgefallen, ungeschickte Formulierungen, Gemeinplätze. Ich hatte zwar während des Jahres in Dorothees Werkstatt gelernt, genau hinzuhören, wenn die anderen vorlasen, aber solche Feinheiten zu bemerken, war ich trotz der Übung, die ich mittlerweile hatte, nicht in der Lage. Und genau das war auch der Sinn des Vorlesens, das erkannte ich jetzt. In diesem ersten Stadium sollten wir uns nicht mit Details aufhalten, erstmal ging es ums Wesentliche: Dass wir mit dem Herzen dabei waren, dass wir Geschichten erzählten, dass wir Schwierigkeiten nicht auswichen. Es war nicht so, dass Dorothee nie jemanden auf eine Wiederholung oder etwas in der Art aufmerksam machte, aber wenn sie es tat, bezeichnete sie den Fehler als „Peanut“. Meine Vorstellungen davon, worum es bei einem Lektorat ging, waren vor dem ersten Kursabend bei Brigitte nur nebelhaft, aber eins wusste ich sicher: Die Fehler, die in Dorothees Werkstatt als „Peanuts“ durchgingen, waren zum Zeitpunkt des Lektorats keine Peanuts mehr, spätestens dann musste man anfangen, sich mit ihnen zu befassen. Und das bedeutete, dass man bis dahin mit dem Text in eine gewisse Tiefe vorgedrungen sein sollte – doch genau von dieser Tiefe, fand ich, war in den Texten der anderen Kursteilnehmerinnen nichts zu spüren. Jedenfalls in den meisten nicht. Sie kamen mir langfädig vor, blutleer, oberflächlich. Vermutlich waren sie extra für den Kurs geschrieben worden, und das merkte man ihnen an. Es waren erste Fassungen, nicht schlecht selbstverständlich, nur noch nicht reif fürs Lektorat. Mit meinem Neujahrsspaziergang hingegen war ich durch Dorothees Schule gegangen. Ich hatte mich ihrer Kritik gestellt und der meiner Schreibfreundinnen, hatte den Text wieder und wieder umgeschrieben, und dadurch war er immer gehaltvoller und tiefgründiger geworden. Ich hielt es nicht für nötig, ihn Dorothee noch einmal vorzulegen, nachdem ich ihn in meine neue Sprache gebracht hatte. Es war ja immer noch derselbe Text, ich hatte ihm nur ein anderes Kleid angezogen, gewissermassen. Ein besseres, schöneres, glaubte ich –

    Nach dem ersten Kursabend im Turmzimmer des Zentrums Karl der Grosse, durch dessen Fenster man in die Hinterhöfe verschachtelter Zürcher Altstadthäuser hinabsah, war mir absolut unbegreiflich, wie ich mich so hatte irren können. Brigitte hatte sich meinen Neujahrsspaziergang bis zuletzt aufgespart – als Beispiel dafür, wie man es schlechter nicht machen konnte. Noch während ich darauf wartete, an die Reihe zu kommen, hatte ich keine Ahnung, welche Schmach mir bevorstand, ich fiel buchstäblich aus allen Wolken. Die anderen kamen auch nicht besonders gut weg, aber so etwas wie ich hatte niemand sonst abgeliefert. Nicht annähernd. Brigitte war entsetzt. Fassungslos, dass es möglich war, solchen Unsinn zu schreiben, ohne es zu merken. Doch genau so war es: Ich hatte von den Fehlern, die mir unterlaufen waren, nicht das Geringste gemerkt! Als hätte ich die ganze Zeit anstelle meines Textes ein Vexierbild angeschaut, ohne das zweite Bild zu sehen, das sich darin verbarg. Mehr noch: Ohne auch nur eine Ahnung davon zu haben, dass es dieses zweite Bild überhaupt gab. Dabei war es so offensichtlich!
    „Du musst dich ganz in deine Figur hineinversetzen“, belehrte mich Brigitte kopfschüttelnd, „und nur das beschreiben, was sie sieht. Niemand hat hinten Augen, auch deine Lea nicht!“
    Fasziniert von meiner neuen verknappten Ausdrucksweise, hatte ich, ohne auf den Inhalt zu achten, ungehemmt Sätze gekürzt oder gar ganz weggelassen, so dass jetzt Lea auf ihrem Hügel sehen konnte, was hinter ihr vorging, ohne sich dafür umdrehen zu müssen. Unter anderem.
    Ich hatte geglaubt, ich könnte mich in meine neuentdeckte Sprache setzen wie in ein warmes Nest, aber nun war mir klar geworden, dass es so einfach nicht ging. Ich war durchgebrochen und unsanft auf dem Boden der Realität gelandet. Doch das war gut so. Der Aufprall hatte mich erschüttert, und jetzt wusste ich wieder, was ich zu tun hatte, nämlich zu arbeiten. Hart und unermüdlich zu arbeiten.“

    Tja – so war das mit dem Schreiben im September anno Domini 2008 … Wir sind nicht nur das Werkzeug, wir sind auch das Material :-)

    Liebe Grüsse
    R.

    • Regula Horlacher meint

      Nein, nein – ihr habt alles goldrichtig gemacht, beide zusammen!! Stell dir vor, ich wäre samt meiner blauäugigen Naivität in den Literaturbetrieb hineingestolpert! Nicht auszudenken.

    • Heather Cohn meint

      Nach diesen sehr ausführlichen Ausführungen bin ich doch stark ins Zweifeln geraten, ob ich als gelernter journalistischer Schreiberling selbst nach dreißig Jahren Publikationserfahrung Euren literarischen Ansprüchen genügen kann.
      Grübel…

    • Milena Moser meint

      @ Heather: Schpinnsch?? (Wie wir in der Schweiz sagen) Wie du meiner Antwort entnehmen kannst, bin ich persönlich gar nicht einverstanden mit der etwas brachialen Vorgehensweise meiner ehemaligen Lektorin – aber Regula hat es geholfen, also ist es gut. Mein literarischer Anspruch – an mich – ist, dass ich beim Schreiben etwas erlebe, erfahre, das mir neu ist. Dass ich weiterkomme. Dass ich mich selber überrasche. Darum bin ich auch nach all den Jahren und all der Erfahrung immer bereit, einen Text noch einmal umzuschreiben, und noch einmal – solange etwas dabei passiert. Nein, nein, so leicht kommst du uns nicht davon! Bis morgen!

  4. Heather Cohn meint

    Vielen Dank für die Einblicke in Eure Schreibgruppe, liebe Milena!
    Da ich selbst (noch) keiner angehöre bzw. die Initiative dazu noch nicht ergriffen habe, werde ich am Donnerstag von 3 bis 5 schreiben. Als virtuelle Teilnehmerin.
    Mal schauen, wohin mich das führt.

    Viele Grüße aus dem Südwesten Deutschlands in die USA!

  5. Claudia Freund meint

    Nachtrag zu Deinem Text, liebe Milena. Erstens: Ich freue mich sehr über Deine „Betrachtungen“
    Zweitens: Am Donnerstag Nachmittag habe ich zwar nicht geschrieben, aber ein leicht flaues Gefühl dabei gehabt. Dann geträumt von einem Labyrinth, aus dem ich herausfinden sollte (und gefunden habe) Aber das habe ich gedacht: Schreibgruppe ist auch wie der Ariadne-faden, der mir wieder aus dem Labyrinth heraus hilft. Im Moment bin ich zwar nicht so ganz sicher: Deine Ermutigung, ALLES zum Schreiben zu verwenden führt im Augenblick zu einer Art Wildwuchs und wo da meine Geschichte drin dann Platz hat, weiss ich immer weniger. Aber ich schreibe. Ich schreibe plötzlich aus innerer Dringlichkeit und du hast mir die Berechtigung gegeben, ALLEM einen (geschriebenen)Raum zu geben. Ich muss es noch gar nicht wissen. Wenn das nun kein unglaubliches Resultat ist unserer Schreibgruppe? Ich freu mich auf Donnerstag, wo auch immer Du bist. C.

An der Diskussion teilnehmen

Hier können Sie Ihren Kommentar schreiben. Ihre Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * bezeichnet.