Das 48-Stunden-Buch

vintage-woman-with-arms-in-the-airWas macht eine Schriftstellerin während ihres Sabbaticals? Ausser Schreiben, meine ich? Sie besucht einen Schreibkurs! Genau! „How to write your Bestseller in one weekend“ – den Kurs hatte ich schon mehrmals ausgeschrieben gesehen und immer gedacht: „Na, na, na!“ Schwer genug, in 30 Tagen um die Welt zu reisen, beziehungsweise einen Roman zu schreiben, wie ich das immer wieder mal im November versuche, dem National Novel Writing Month. Aber in zwei Tagen? Das wollen wir doch erst mal sehen, habe ich gedacht und als ich die neueste Ausschreibung sah, bin ich einfach hingegangen. Und ich kann euch berichten: Es ist ganz einfach. Ecriture Automatique! Sag ich doch auch immer. Einfach nonstop. Tom Bird macht eine einfache Rechnung: Ein Bestseller besteht aus 35’000 Worten. (Zum Vergleich: Beim National Novel Writing Month muss man es auf 50’000 bringen.) Er lässt uns zehn Minuten schreiben, ohne den Stift abzusetzen und dann die erreichte Wortzahl verzehnfachen: Das ist unsere Schreibgeschwindigkeit pro Stunde. Pro 100-Minuten-Stunde? frage ich mich – aber Kopfrechnen war noch nie meine Stärke. Jeder Teilnehmer muss der Reihe nach seine Zahl nennen, sie fällt zwischen 1400 und 4700. Da kommt gleich Konkurrenzdenken auf. Aber wir rechnen weiter und kommen zum Schluss: Auch der langsamste unter uns ist in 25 Stunden fertig mit seinem Bestseller!

Was zu beweisen war!

Nein, ich mache mich nicht lustig, ich habe mich in vielem, was der Kursleiter sagte, wiedererkannt. Erst Schreiben, dann denken, sage ich. Schreiben, nicht denken, er. Seine Methode kommt direkt von Gott, meine aus Paris. Aber das alles ist sind Details, Petitessen, das Wichtige ist, dass Schreiben gar nicht schwierig ist: Wenn man sich nicht dauernd fragt, ob es auch gut sei, richtig, wichtig und von Bedeutung für die Menschheit. Das alles wusste ich schon, trotzdem ist es nie falsch, sich an das, was man weiss, erinnern zu lassen. Und dem nachzugeben, was da ist, in meinem Fall: Mein Sabbatical hat ein Ende! Seit Wochen juckt es mich in den Fingern, ich habe tausend Ideen für Artikel, Kolumnen, Bühnenmonologe, Sachbücher und Romane. Tapfer sage ich weiterhin alle Anfragen ab, aber hmmmm… mehr oder weniger ungestört einen Roman zu schreiben, ist doch auch ein Sabbatical? Einen Roman zu schreiben steht doch nicht nur bei mir zuoberst auf der Liste mit dem Titel „Wenn ich nur mal Zeit hätte“?
Ich habe Zeit. Ich bin ausgeschlafen. Ich habe sieben(hundert) Ideen. Ich bin bereit. Für das eine Bild, den einen Gedanken, den einen Satz, der mich packt, für die Figur, die mich verfolgt. Und das passiert während einer dieser Schnellschreibübungen: Plötzlich sehe ich eine Landschaft vor mir. Zwei ungeteerte Strassen, die sich kreuzen, weit und breit nichts. Im Vordergrund ein Schild, auf dem aber nichts steht. Ich schleiche mich mit dem Bleistift an, ich umkreise das Schild: Es bleibt leer. Noch. Die Landschaft ist mir fremd und vertraut gleichzeitig. Genau an dieser Kreuzung war ich noch nie – wenn es sie denn gibt. Sie befindet sich aber eindeutig in New Mexico. Ich erkenne die Farben, das Licht, rosa Erde, gelbes Gras, blauer Himmel.

Das ist mir noch nie passiert. Da war immer eine Stimme zuerst, eine Figur. Nicht ein Bild. Nicht eine Landschaft. Victor sagt,eine Landschaft könne einen Künstler verändern, einen Schriftsteller auch. Graham Greene hat schliesslich auch anders geschrieben, als er in Mexico lebte.

Wir werden sehen. Das nächste Wochenende kommt bestimmt.

 

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6 Kommentare

Kommentare

  1. Mr. Hans Alfred meint

    Zuerst das: Ich lese zur Zeit GEBRAUCHSANWEISUNG FÜR ZÜRICH in Schritten, mir gefällt es.
    Überhaupt geht es mir beim Lesen immer mehr wie einem Irren, einem der meint all die diese Geschichten schon zu kennen. Manchmal muss ich dann nachsehen WANN dieses oder jenes Buch erschienen ist. Ganz egal ob das Buch in Deutsch oder Englisch gedruckt wurde. Manchmal ist die Übereinstimmung so frappant, dass ich mich frage ob sich die Autoren vielleicht persönlich über diesen oder andere Titel abgesprochen hätten. Wirklich, das denke ich manchmal.
    Nun weiss ich von Dir, dass Dein Sabatical zu Ende ist, dass es Dich juckt wieder voll zu schreiben, in aller Ruhe ohne Störung, in New Mexico U.S.A.
    Ich finde das toll, es wird wieder etwas berauschendes sein, da bin ich mir absolut sicher.

  2. Regula Horlacher meint

    Eine Landschaft kann einen Künstler verändern. Einen Schriftsteller. Einen Menschen.
    Ich sitze an meinem neuen Arbeitsplatz in meiner neuen Wohnung und schaue am Bildschirm des Laptops vorbei, über die Baumwipfel hinweg, in die für mich neue Umgebung. Ich bin ein bisschen stolz darauf, dass ich die Giebel in meinem Blickfeld schon zuordnen kann: Die beiden Schlösser, das Stöckli davor, den spitzen Kirchturm. Im Hintergrund die Hochhäuser des „Kleefelds“, der teilweise bewaldete Hügelzug, der den Blick begrenzt und scheinbar auch den Raum, weil ich nicht weiss, was sich dahinter verbirgt. Darüber der blaue, leicht dunstige Herbstmorgen-Himmel.
    Ab und zu besucht mich eine Taube. Sie pickt das Unkraut aus meinen noch unbepflanzten Balkontrögen. Zwischendurch hält sie immer wieder inne und beäugt mich. Nicht wirklich misstrauisch, eher verwundert. Sie ist es nicht gewöhnt, jemanden am Fenster zu sehen. Die meisten meiner Nachbarn sind liebenswürdige Rentner, die viel Zeit vor dem Fernseher verbringen. Ich höre das, wenn ich mir zuweilen auf dem Balkon kurz die Beine vertrete. Der Fernsehanschluss befindet sich an der Rückwand des Wohnzimmers. Die Wohnungen hier im Haus sind alle mehr oder weniger gleich geschnitten, nehme ich an. Das Haus hat zehn Eingänge und elf Stockwerke, ich wohne im siebten.
    Anfang November kann ich meine neue Stelle in einem der zahlreichen Altersheime, die es hier gibt, antreten. Bis dahin bleibt ein Monat.
    Ferien! Ich habe seit den drei Wochen Ende Juli/Anfang August vor zwei Jahren keine Ferien mehr gemacht und auch stets darauf geachtet, das Wort „Ferien“ im Zusammenhang mit meinem Sabbatical nicht zu gebrauchen. Ich sprach von Auszeit, von Schreib-Urlaub.
    Ich wollte schreiben, und das habe ich auch getan. Ich wollte als Schriftstellerin ernstgenommen werden, wenigstens von mir selber. Ich beteiligte mich an Wettbewerben und bewarb mich um Stipendien. Erfolg hatte ich keinen damit, jedenfalls keinen äusseren, sichtbaren, aber mein Eindruck, dass es darauf auch gar nicht so sehr ankommt, wuchs mit der verblüffenden Feststellung, dass mich alles, was ich schrieb – jeder Wettbewerbsbeitrag, jede Bewerbung, jeder Kommentar in diesem Blog – spürbar ein kleines Stück weiterbrachte.
    Weil es mir nicht gelang, die einschlägigen Stellen davon zu überzeugen, dass für die Arbeit an meinem Roman ein Aufenthalt in Berlin von wesentlicher Bedeutung sei, obwohl die Stadt darin gar nicht vorkommt, beschloss ich, mir diesen Aufenthalt selber und auf eigene Kosten zu organisieren. Ich ging 160 Kilometer auf dem Mauerweg, schrieb zwanzig Seiten über Meerschweinchen und freute mich, dass ich rechtbehalten hatte. Triumphierte auch ein wenig, selbstverständlich –
    Nebenbei wurde mir klar, dass ich die Umgebung, in der ich mein ganzes, zweiundfünfzigjähriges, bisheriges Leben verbracht hatte, verlassen musste. Ich neige dazu, äusseren Gegebenheiten zu wenig Gewicht beizumessen. Das ist gefährlich. Ohne inneren Wandel geht es nicht, keine Frage, aber es braucht schon sehr viel Standfestigkeit und Durchhaltevermögen, sich eine neue, eben erst veränderte, noch ganz fragile Sicht auf sich selbst zu erhalten, in einem Umfeld, das mit dem Althergebrachten so gut gefahren ist, dass es keinen Grund dafür sieht, weshalb nun plötzlich davon abgewichen werden sollte. Ich bin keine Kämpfernatur und andere auf meine Seite zu ziehen, ist nicht meine Stärke. Darum war ein Ortswechsel wohl unumgänglich. Ob mich dieser neue Ort weiter verändern wird, weiss ich nicht. Wenn ich meine Ferien genutzt habe, um die mich umgebende, noch fremde Landschaft zu erkunden, kann ich möglicherweise mehr darüber sagen. Fünf Minuten von meiner Wohnung entfernt steht ein kleiner Bahnhof. Dort werde ich in den Zug einsteigen und so weit fahren, bis ich sehe, was sich hinter dem Hügelzug befindet, den ich von meinem Wohnzimmer aus sehe. Noch ein wenig mehr Selbstvertrauen wäre mir schon sehr willkommen. Vielleicht ist das dort erhältlich. Wir werden sehen.

  3. Nike meint

    Du warst wahrscheinlich die einzige Teilnehmerin, die den Kurs mit dem festen Vorsatz gemacht hat, danach NICHT zu schreiben :-)
    Naja, obwohl … Ich nehme gerade an einem Onlinekurs der University of Iowa teil, aber eigentlich auch nicht, um danach gleich loszuschreiben, sondern nur, um mich meinem Idol John Irivng näher zu fühlen (der ja dort gelernt und unterrichtet hat).

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