Vom Glück verfolgt.

Wie das jetzt sei mit dem Schreiben in Santa Fe, hat jemand gefragt. Stimmt, das Schreiben! Wie atmen, wie essen, wie schlafen, das ist nur die kurze – vielleicht zu kurze Antwort. Die lange? Ok, die lange Antwort: Ich schreibe jeden Tag. Nicht zu festen Zeiten, immer dann, wenn ich Lust habe, wenn sich etwas aufdrängt. Wenn ich darüber nachdenke, dann aber meist kurz nach dem Aufwachen oder kurz vor dem Einschlafen. Mit einem Bein noch (oder schon) in den Träumen also. Hm. Interessant. Ich schreibe, ohne nachzudenken. Mit Bleistift in ein Notizbuch und auch in den Computer. Unzusammenhängende Notizen, Beobachtungen, Wortspiele, Merkzettel im Telegrammstil: Aprikosen – Deckel? Schon zwei Tage später macht dieses Wort keinen Sinn mehr – oder sind es zwei? Wollte ich Aprikosen einkochen und fand die richtigen Deckelverschlüsse in der noch fremden Küche nicht? Oder dachte ich an einen mit künstlichen Früchten verzierten Hut, den ich in einem Illustriertenbericht über ein Pferderennen in England gesehen hatte? Oder gar nichts? Drum lese ich nicht nach, was ich schreibe. Ich habe täglich mindestens drei „supergute Ideen“ – mit Absicht in Anführungs- und Schlussstriche gesetzt -, die ich bewusst nicht verfolge. Auch wenn sie mich noch so reizen. Unter den Fingern brennen. Ich notiere sie stichwortartig und lasse sie dann in Ruhe. Aprikosen – Deckel?

Ich spüre, das ich etwas ausbrüte, das noch mehr Zeit braucht. Etwas, das noch nicht greifbar ist. Etwas, das ich noch nicht kenne. Die aufdringlich blinkenden, auf und ab hüpfenden „superguten Ideen“ wollen mich nur davon ablenken. Aber ich lasse sie nicht. Es wäre zu einfach. Zu vertraut. Ich warte auf das Unvertraute. Es wird sich schon zeigen.

Dabei verfolgt mich, ganz klar, das Glück. Auf Schritt und Tritt. Im Leben und im Schreiben. Es springt mich aus dem Hinterhalt an, es drängt sich zwischen die Zeilen, es besetzt mich. Es ist mein roter Faden – den ich noch gar nicht erkennen will, der aber unübersehbar ist.

Vielleicht, weil es im letzten Buch schon vorkam. Weil ich nur einen Bruchteil von dem in den letzten Jahren dazu Gedachten, Gelernten, Gelesenen verwendet habe. Vielleicht, weil ich in den letzten Wochen vor meiner Abreise immer wieder gefragt wurde, wie das Glück denn nun wirklich aussähe. Und ob ich sicher sei, es endlich gefunden zu haben. Fragen, auf die es keine kurzen Antworten gibt. Nur – bisher – ungeordnete Notizen, Beobachtungen, Wortspiele und Merkzettel.

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13 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Horlacher meint

    Manchmal komme ich mir vor wie ein alter, schwerer Kahn, der sich kaum manövrieren lässt. Jeder Richtungswechsel nimmt unendlich viel Zeit in Anspruch und will lange im Voraus ins Auge gefasst und geplant werden. Ich muss bereit sein, viel zu investieren, um ihn überhaupt zu ermöglichen. Ein Richtungswechsel erfordert meine ganze Kraft. Vollständige Konzentration ist unerlässlich. Absolute Aufmerksamkeit. Wenn ich einen Moment nicht aufpasse, gleitet das Steuerrad sofort in seine gewohnte Stellung zurück und jeder dem Wasser abgerungene Zentimeter ist dahin, alles Bemühen vergeblich. Niemand löst mich ab, niemand hilft mir, noch nicht einmal findet irgendjemand, das, was ich tue nötig, geschweige denn sinnvoll. Ich bin ganz auf mich allein gestellt, wenn ich etwas erreichen will …

    Seit Milena ihren Input „Vom Glück verfolgt.“ veröffentlicht hat, mache ich mir Gedanken über das Glück. Das mich nicht verfolgt. Das sich bei mir nicht wohlfühlt. Offensichtlich. Sonst würde es doch nicht ständig vor meiner Nase herumgaukeln, wie ein betrunkener Schmetterling, um sich mir, kaum bemerkt es, dass ich es erkannt habe und nach ihm greifen will, schwupps zu entziehen?! Immer wieder. Das macht man doch nicht, wenn man sich bei jemandem wohlfühlt?? Oder?
    Gestern Nachmittag ist mir dann die Sache mit dem Kahn eingefallen, und ich habe es nicht bei dem Einfall belassen, sondern mir Zeit genommen, ihn in verständliche Worte zu fassen. Vorher hatte ich mir nur Notizen gemacht. Ich wandte Milenas „Methode“ an und liess „Die aufdringlich blinkenden, auf und ab hüpfenden „superguten Ideen“ nicht zu: Nein, ich will nicht über die Angst vor dem Glück schreiben, sagte ich mir, die weit verbreitet ist, und die auch ich kenne. Nur zu gut. Nein, auch nicht darüber, dass ich mir nicht vorstellen kann, irgendwann könnte – einfach so, ohne mein Zutun – eine Wende zum Besseren eintreten. Obwohl das Gefühl, der liebe Gott halte mich einer solchen schicksalshaften Wendung nicht für wert, tatsächlich tief sitzt.
    Keine Ahnung, weshalb mir schliesslich ausgerechnet der Gedanke an einen alten Kahn wichtig genug erschien, um weiterverfolgt zu werden. Es war mir schleierhaft, was dieser schwerfällige offenbar mit mir siamesisch verwachsene Kahn, der mir so viel abverlangte, mit meinem Lebensglück zu tun haben könnte, und was ich denn nun mit diesem Bild anfangen sollte, erst recht. Wenn es wenigstens einen romantischen Sonnenuntergang eingeschlossen hätte! Doch da war nur blauer Himmel und eine unendlich weite Wasserfläche. Allerdings hatte das Wasser diesen satten, dunklen Blaugrünton, der meine Lieblingsfarbe ist! Nur – von der Lieblingsfarbe hat man nicht gegessen, wie man so schön sagt. Naja zugegeben: vom Sonnenuntergang auch nicht …
    Nun denn. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich nach alter Manier in Geduld zu üben und zu fragen: „Was will dieses Bild mir sagen?“ Ich ein alter, schwerer Kahn – nicht gerade ein schmeichelhafter Vergleich, wahrhaftig! Ich muss Ballast abwerfen, war der erste Gedanke – naheliegend, weil zeitgemäss: Alles muss schnell gehen heutzutage, wer nicht leicht und wendig ist, kann sich im allgemeinen Wettbewerb nicht behaupten! Hm. Das leuchtete ein. Doch dann erinnerte ich mich an Milenas Methode. Er war zu einfach, dieser erste Gedanke, zu vertraut. „Ich warte auf das Unvertraute“, schreibt sie. „Es wird sich schon zeigen.“ Und wirklich stellte sich schon bald ein neues Bild ein: Ein Schiff im Sturm herumgeworfen wie eine Nussschale. Nicht lange, und es zerbrach an der schieren Kraft der Wellen.
    Ein Schiff ohne Ballast ist ein Schiff ohne Tiefgang. Und also sehr gefährdet. Hm. Wer hätte das gedacht. Danke für die Hilfe, liebe Milena, ich habe verstanden.

  2. kayser-gantner, Gise meint

    Ein Füllhorn guter Gedanken zum Geburtstag, liebe Milena –
    diese wunderbare Idee, den Blog weiter zu schreiben – hach,ich liebe es, von Dir hören –
    und bin sehr gespannt auf das, was da schlüpfen will!
    Herzlichst Gise,
    die diesmal gar nichts Habhaftes an Dich losschicken konnte.

  3. Anne-Christine meint

    Liebe Milena, HAPPY joyeux Burzeltag !! Wie die Zeit vergeht.. erst noch im Theater bei Dir und Sybille , dann die Lesung erts kürzlich (vor 7 Wochen !) .. und dann das berührende Buch gelesen… So schön von Dir zu hören …. ! Geniess es…!
    Anne-Christine

  4. Melanie meint

    Liebe Milena Moser
    Danke für dieses wunderbare Buch „Das Glück sieht immer anders aus“. Es spricht mir aus dem Herzen. Ich bin berührt und sehr glücklich zu erfahren, dass Sie mir sehr bekannte Gedanken mit sich herumtragen. Obwohl, so scheint’s, Sie doch ganz ein anderer Mensch sind als ich, beide jedoch einzigartig und wunderbar. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer Ehrlichkeit und Ihrem Mut und bin wahnsinnig neugierig, wie es wohl weitergeht. Ihre Geschichte fasziniert mich und aus der Ferne hat mich das Santa Fe Fieber auch gepackt.
    Alles Gute!
    Melanie R.

  5. Denise meint

    Oh, du bloggst wieder! Juhu.
    Du schreibst aus Santa Fe unx ich lese dich in Örebro (Schweden), im Land, wo ich ein bisschen Heimat gefunden habe. Ferien zwar nur, aber im Bewusstein, dass das Fremde Heimat sein kann und umgekehrt. Und inspirierend.
    Ich habe dein Glück-Buch als sehr nährend und mutmachend erlebt.
    Und ich freue mich auf alle kommenden Bücher!
    Danke, dass du (weiter-)schreibst!

  6. Doris meint

    Hi Milena,
    das mit dem Glück hängt bestimmt mit dem kleinen Buddha zusammen…
    Du weißt schon, der kleine Dicke.
    oder hast du ihn vielleicht gar nicht mit genommen.
    dann hängt es bestimmt mit dem großen Buddha zusammen.
    Du weißt schon, der große, den jeder von uns in sich hat!
    Liebe Grüße
    Doris

    • Regula Horlacher meint

      Liebe Regenfrau
      Was für eine schöne Wendung „Das Glück fühlt sich wohl bei jemandem“! Das habe ich so noch nie gelesen. Danke und liebe Grüsse
      Regula

  7. Thomas & Mary Kalau meint

    Liebe Milena
    Wir hoffen, dass Du Dich gut in Santa Fe eingelebt hast bzw. am gut einleben bist
    :-)
    Für Deinen heutigen Geburtstag wünschen wir Dir alles Gute und viel Freude und gemütliche Stunden mit Deinen Bekannten in der neuen Wahlheimat!
    Herzliche Grüsse aus Herzogenbuchsee,
    Thomas & Mary

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