Frauen unter sich

Eigentlich wollte ich den Blog ja einschlafen lassen. Ich habe ihn damals für meine Schreibgruppe angelegt, für Kursteilnehmer, für Schreibende, die allein am Tisch sitzen, aufs leere Blatt oder in den Bildschirm starren und sich fragen: Geht das nur mir so?

„Aber nicht doch“, sagte ich mit diesem Blog. Schaut mir über die Schultern! So mache ich es. So koche ich: Auch nur mit Wasser. Ein ganzer Roman ist so entstanden, in Echtzeit begleitet und kommentiert. Und dann ein autobiographisches Buch. Und jetzt? Alles was jetzt kommt, ist doch nur noch eine Wiederholung! Ausserdem steige ich aus. Fange ein neues Leben an. Und dieser Blog soll kein Reisetagebuch werden. Kein Selbstfindungsprotokoll. Also Ende Blog, dachte ich – aber dann fiel mir meine frühere Lektorin ein, die gestrenge Dr. Angela Praesent – Friede ihrer Seele. Die hat mir nämlich eingeschärft, ich dürfe nicht geizig sein. Damals ging es um das „Faxenbuch“, einer Sammlung von Faxmitteilungen, die wir ausgetauscht hatten, während ich „Blondinenträume“ schrieb, schwanger war und ein zweites Kind bekam. „Wen interessiert das?“, fragte ich mich damals schon und sie: „Man darf nicht geizig sein. Mit Ideen, mit Material. Man darf nicht auf seinen Schätzen sitzenbleiben. Wen interessiert’s? Das werden wir dann ja sehen!“

Nächste Woche beginnt für mich ein neues Leben. Und damit ein neues Schreiben. Zum ersten Mal seit bald 30 Jahren werde ich ohne Druck und ohne Ablenkung schreiben. So viel oder wenig ich will. Ich werde mich ins Schreiben sinken wie in ein Bett. Nein, eine Luftmatratze! Ich werde mich treiben lassen. Ich werde nicht wissen müssen, wo es mich hinführt, das Schreiben. Was daraus wird. Ob es „etwas“ ist. Das Schreiben wird es mir schon zeigen. Was für ein Abenteuer!

Und daran soll ich euch nicht teilhaben lassen?

Der Blog geht also weiter.

In der Zwischenzeit eine letzte Frage aus meinem „alten“ Leben als tingeltangelnde Schweizer Schriftstellerin. Die letzten Monate habe ich ja nicht nur mit Packen, Räumen und Zügeln verbracht, sondern auch auf Lesereise. Es war anstrengend und wunderschön. Ich fühlte mich wie die Rolling Stones auf ihrer garantiert letzten Tournee. Doch etwas irritierte mich: Jedes Mal, ich schwöre, an jedem Veranstaltungsort wurde mir dieselbe Frage gestelt:  „Sind ja schon deutlich mehr Frauen im Publikum – haben Sie denn keine männlichen Leser?“

Anfangs zuckte ich nur mit den Schultern. Schliesslich lesen und kaufen Frauen auch mehr Bücher als Männer. Belletristische Bücher. Romane. Logisch, dass sie auch mehr Lesungen besuchen. Aber ganz ehrlich, die Zusammensetzung des Publikums interessiert mich gar nicht – wer immer vor mir sitzt, soll einen schönen Abend haben. Aber nachdem mir die Frauenfrage ungefähr siebenmal gestellt worden war, dachte ich darüber nach. Bei diesem letzten Buch aber habe ich nämlich deutlich mehr Reaktionen als sonst von Männern bekommen, die sich – das allein fand ich interessant – in diesem sehr persönlichen Bericht wiedererkannt hatten. Was beweist: das anekdotische der Autobiographie, das „genau so ist es mir passiert“ ist nur Verzierung. Es geht um das, was unter der persönlichen Erfahrung liegt. Um ihre Essenz. Und diese ist übertragbar. Auch auf Männer, jaja!

Und so fand ich, ich sähe mehr Männer im Publikum als bei anderen Lesereisen. Aber offenbar nicht genug. Denn diese Frage wurde immer in leicht anklagendem Ton gestellt. Als seien weibliche Leserinnen weniger wert als männliche. Das irritierte mich so lange, bis mir auffiel, dass nur Frauen diese Frage stellen. Achso, dachte ich. Die haben vielleicht einfach gehofft, bei meiner Lesung einen Mann kennenzulernen…. oder?

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Leser-Interaktionen

13 Kommentare

Kommentare

  1. Anja Richelmann meint

    Liebe Milena,
    der Blog ist wieder da! So weit weg und dann doch greifbar. Und gerade musste ich schmunzeln, und gleichzeitig war ich so gerührt. Ich habe das „Faxenbuch“ geliebt, ich habe so gelacht, als ich es vor ca. ca. 15/18 (???) Jahren gelesen habe und ich mochte Deine Bücher so sehr. Und dann habe ich Dich und Deine Bücher ein wenig aus den Augen verloren,bin dann mit Schlampenyoga wieder eingestiegen. Als ich schließlich das Buch vom Glück las, war ich so froh und gleichzeitig so traurig, weil ich dachte, Du hast mich so lange begleitet und wirst mir an meiner Seite fehlen.

    Dem ist jetzt nicht mehr so!
    Liebe Milena: Danke für all die Zeilen!

    Das Beste für deine Zeit in Santa Fe.

    Anja

  2. Regula Horlacher meint

    Liebe Milena
    Das ist lieb von dir, dass du den Blog weiterführst, danke!! Ich habe nämlich das vage Gefühl, ich werde in nächster Zeit einmal mehr sehr froh sein über ihn :-)

    Auch ich ziehe um, wandere aus, fange an einem anderen Ort neu an. Auch in meinem Leben wird demnächst eine Luftmatratze von Bedeutung sein: eine alte, blaue, ein wenig verstaubte. Aber ausschliesslich deshalb, weil ich eine einigermassen bequeme Unterlage brauche, um darauf zu übernachten, solange mein Bett noch in Brugg steht, während ich selber schon mit einem Bein umgezogen bin. Meine Auszeit ist vorbei. Das, was ich tue, nennt man „emigrieren“, habe ich herausgefunden. Emigrieren heisst laut Duden „sein Land [freiwillig] aus wirtschaftlichen, politischen, religiösen u. a. Gründen verlassen; auswandern“. Das trifft auf mich zu. Auch wenn ich nicht das Land verlasse, lediglich den Kanton, bin ich eine sogenannte „Migrantin“.

    „Das freiwillige Auswandern ist eine Entscheidung, die man ganz allein tragen muss. Man kann sie nicht auf die Firma abschieben, nicht auf den Mann. Man muss die Verantwortung dafür selber übernehmen, die Reaktionen einstecken.“, schreibst du in „Das Glück sieht immer anders aus“.

    So habe ich das auch erlebt, obwohl ich nur rund 100 Kilometer westwärts ziehe, nicht mehr als 8000. Ich glaube, „freiwillig“ ist das Stichwort. Wenn man gar nicht müsste. Eigentlich. Ich gehe, weil ich eine grössere Auswahl an Altersheimen haben möchte, die ich von meiner Wohnung aus bequem mit dem Fahrrad oder sogar zu Fuss erreichen kann. 15 statt nur 2 wie hier. Ich möchte an einem Ort arbeiten, wo es mir gefällt. Ich möchte die Möglichkeit haben, den Arbeitsplatz wechseln zu können, wenn ich merke, dass ich mich, dort, wo ich gerade angestellt bin, nicht mehr wohlfühle. Ich bin zweiundfünfzig Jahre alt, und die Arbeit als Pflegehelferin ist anstrengend. Ich möchte meine Mittagspause zu Hause verbringen können. Allein, nicht mit sieben Kolleginnen zusammen in einem Schwesternzimmer, das, wenn man es genauer betrachtet, eigentlich der Durchgang zu einer anderen Abteilung ist, in dem ein ständiges Hin- und Her herrscht. Ich möchte in einem Team von mir gutgesinnten Kolleginnen arbeiten, unter Vorgesetzten, die meine Fähigkeiten schätzen und fördern. Weil ich mich entfalten möchte. Weil ich glücklich sein möchte. Nur deshalb – ja. Aus purem Egoismus. Also freiwillig.

    Ich mag dieses Wort nicht. Einmal, kurz nach meiner Scheidung, hatte ich eine Begegnung mit einer etwa gleichaltrigen Bekannten und deren Mutter, die bereits seit einigen Jahren verwitwet war. Wir unterhielten uns über das Alleinsein, das mir nichts ausmachte, im Gegenteil, ich war so erleichtert, endlich die Scheidung überstanden zu haben, dass ich es sogar genoss, während die Mutter meiner Bekannten nach wie vor schwer daran trug. „Das kann man nicht vergleichen, Mami“, sagte sie zu ihr, „du bist schliesslich nicht freiwillig allein!“
    Als ob ich mich freiwillig hätte scheiden lassen –

    Jahrelang leistete ich sogenannte „Freiwilligenarbeit“. Es war interessant, ich bekam Einblick in die verschiedensten Institutionen und Lebensbereiche und lernte unglaublich viel dabei – nur zu begreifen, was an dieser Arbeit „freiwillig“ sein sollte, gelang mir nie. Das Wort verwirrte mich, weil ich all das, wofür ich mich scheinbar freiwillig einsetzte, für unverzichtbar hielt – und halte. Weshalb sich diese Art von Arbeit auch sofort in unfreiwillige Arbeit verwandelt, wenn man sich freiwillig, also ohne von jemandem dazu gezwungen worden zu sein, bereit erklärt hat, sie zu übernehmen. Weil sie nämlich, meiner Ansicht nach, getan werden MUSS. Zum Beispiel, wenn ein Gewitter naht, und ich einem Bauern, der dabei ist, sein Heu noch einzubringen, bevor es anfängt zu regnen, freiwillig meine Hilfe anbiete, verwandelt sich mein freiwilliges Angebot in eine Pflicht, sobald er es angenommen hat. Oder liege ich möglicherweise falsch mit dieser Annahme?? Wen kratzt schon ein Haufen verregnetes Heu?!

    Freiwilligenarbeit heisst so, weil sie von Leuten verrichtet wird, die es sich leisten können, zu arbeiten, ohne Geld dafür zu verdienen. Die also arbeiten, statt im Liegestuhl zu liegen. Für die Arbeit so etwas ist, wie im Liegestuhl liegen, nämlich freiwillig. Seit mir das in einer Weise erklärt wurde, dass ich es schliesslich doch noch verstand, ärgere ich mich noch mehr über das Wort. Freiwilligenarbeit ist einfach unbezahlte Arbeit. Basta. Freiwillig ist sie deshalb noch lange nicht.

    Wie bin jetzt bloss bei diesem Thema gelandet? Eigentlich wollte ich über etwas ganz anderes schreiben!
    Etwas darüber, wie sich mein Schreiben im Lauf meiner Auszeit gewandelt hat, oder genauer, wie sich meine Einstellung zu meinem Schreiben verändert hat – nämlich, dass es zweckfrei geworden ist. Dass ich keine mit dem Schreiben verbundenen Ansprüche mehr habe: Ich will keine Vielschreiberin mehr werden, ich will kein Geld mehr verdienen mit Schreiben, ich nehme nur noch selten an Wettbewerben teil – kurz: Ich schreibe um des Schreibens Willen. Punkt. Es ist aber kein bisschen freiwilliger deswegen.

    Danke fürs Lesen :-)
    Liebe Grüsse
    Regula

  3. Denise meint

    Ich wünsche dir alles Gute für den Start in dein ’neues‘ Leben, viele schöne Begegnungen und Erfahrungen. Freue mich weiterhin deinen Blog zu lesen und bin gespannt auf deine nächsten Einträge
    herzliche Grüsse
    Denise

  4. Nina meint

    Liebe Milena Moser,

    wie schön, dass es mit dem Blog weitergeht! Ich hätte ihn sehr (!) vermisst.
    Und nun alles Gute für das (hoffentlich) wunderbar leichte Schreiben à la Luftmatratze!

    Viele Grüße
    NinaB

  5. Corina Hany meint

    Es hätte natürlich «zum Leben erwacht» heissen sollen. Aber das war jetzt wohl ein offensichtlicher Freudscher:)
    Herzlich, c

  6. Corina Hany meint

    Liebe Milena

    Wie schön, ist Dein Blog wieder zum Lesen erwacht. Ich war nämlich etwas traurig, als ich ihn so leer vorfand.

    Vielen lieben Dank für Deine Grosszügigkeit, ich freue mich auf die weiteren Beiträge von Dir.

    Alles Gute,
    Corina

    ps: Wie geht es «Deinem» Pferd (sein Name ist mir jetzt grad nicht mehr präsent)? Geniesst ihr schöne Ausflüge miteinander?

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