Am Anfang war das Wort.

Marilyn Monroe Exhibition at Getty Images Gallery - Beverly Hills, 1960

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Oder: Über mögliche Nebenwirkungen und Spätfolgen des Schreibens. Diese Woche hatte ich zwei Lesungen und einen Auftritt mit den Unvollendeten. Das heisst ich habe zweimal erzählt, wie ein junger Mann, der nicht lügen kann, weil ihm ein Hirntumor aufs Parabellum drückt, eine traurige Frau erobert. Ein Märchen, das ich mir selber erzählen musste. Und weil ich alles glaube, was ich schreibe, glaube ich auch das. Jedes Wort ist wahr.

So habe ich immer schon geschrieben. Ich erzähle mir die Geschichten, die ich brauche. Ich erschaffe mir eine Welt, in der ich mich zurechtfinde. Das hat angefangen, als ich als Kind im Spitalbett lag und an die Decke starrte….

…. Die Decke war voller Löcher. Zwölf mal zwölf in jedem Deckenquadrat, die Quadrate reihten sich über meinem Kopf auf, sechs breit, acht lang, nein zehn, nein zwölf, ich konnte das Ende des Raums nicht sehen. Ich war gern im Spital. Hier hatte alles seine Ordnung. Am Nachmittag schob eine freiwillige Helferin einen Bücherwagen ins Krankenzimmer,  die anderen Kinder suchten sich Bücher aus, nur ich durfte nicht lesen. Kopfverletzung. Dabei war Lesen meine einzige Zuflucht. Viele Sommernachmittage verbrachte ich in meinem Bett, mit einem Buch, einer Schachtel Schokoladekekse. Ich sperrte die Welt aus, die Kinderstimmen draussen, ihr Lachen. Ich verschwand in eine Welt, die mir gefiel. Eine Welt, in der ich Platz hate. Aber jetzt durfte ich nicht lesen. Die Punkte an der Decke verschwammen, es blieb mir nichts anderes übrig, als mir diese Welt selber zu schaffen…. So habe ich angefangen zu schreiben. Im Kopf. Für mich. Und so schreibe ich heute noch.

Gestern Abend habe ich einmal mehr auf der Bühne mein Recht auf ein Happy End verteidigt. „Nein, ich habe ihn nicht erfunden!!“ Ich weiss noch, wie die Szene entstanden ist, wie alle Szenen beim Improvisieren. Ich hatte bereits meine Storyline, die super romantische Liebesgeschichte mit dem Freiheitskämpfer „Omar“, die damit enden sollte, dass er seinem Schicksal folgt und ich meinem – weil alles andere zu kitschig wäre. Und nicht das, was wir mit unserem Programm aussagen wollten. Das Aufnahmegerät lief immer noch, als ich plötzlich die Fassung verlor: „Das mach ich einfach nicht mit!“, schrie ich. „Ich weigere mich! Warum bekomme ich nie das, was ich mir wünsche? Nicht mal auf der Bühne? Warum kann ich diesen Mann nicht haben? Warum muss der sterben?“ Und so weiter. Beim Transkribieren fand Sibylle, dieser Ausbruch habe sie mehr berührt als alles andere und so blieb er im fertigen Stück. Und weil ich so viele Abende so vehement und vor so vielen Zeugen auf meinem Recht bestanden habe, glücklich zu sein, hat das Schicksal endlich nachgegeben: „Also gut, also gut, stimmt eigentlich, warum sollst du nicht glücklich sein? Hier – ein Geschenk für dich!“

Über die neuesten Blogbeiträge informiert bleiben

  • Dieses Feld dient zur Validierung und sollte nicht verändert werden.

Leser-Interaktionen

5 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Horlacher meint

    Liebe Milena
    Was für eine wunderbare (wundersame? ;-) ) Nachricht!
    Ja, ich finde auch, dass man sich wehren muss. Obwohl es schon einige Monate her ist, seit ich „Die Unvollendeten verändern sich“ in der Tuchlaube gesehen habe, erinnere ich mich gut an deinen berührenden Ausbruch. Du hast mich damit sehr beeindruckt damit. Danke im Nachhinein dafür!
    Liebe Grüsse und alles Gute
    Regula

An der Diskussion teilnehmen

Hier können Sie Ihren Kommentar schreiben. Ihre Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * bezeichnet.