Das Kleingedruckte.

agatha_christieAls hätte er meinen letzten Blogeintrag gelesen, schrieb mir letzte Woche ein namenloser Mann ungefähr Folgendes: Er sähe mich immer wieder in der Stadt, habe mich aber bisher nicht angesprochen. Mit meiner Körpergrösse entspräche ich nun mal nicht seinem Beuteschema. Ausserdem habe er meine Bücher früher gerne gelesen, jetzt aber nicht mehr. Ich hätte mich verändert – oder gar verloren? So genau weiss ich das nicht mehr, aber an seinen Vorschlag erinnere ich mich: Ich solle doch endlich wieder mal so ein richtig freches Buch schreiben, das ihn an meine ersten Bücher erinnert. Zur Belohnung würde er mich dann doch noch ansprechen. Trotz meiner Grösse.

Und da sagt man, Schweizer Männer hätten keinen Charme!

Sofort habe ich den Brief an Sibylle weitergeleitet, die meinte: „Schade, habe ich „Den Erniedriger“ schon geschrieben!“ Sie spielt auf eines der Blind Dates an, die ich auf der Bühne durchleide. Ja, Freunde, wir schöpfen aus dem Vollen. Dem Leben.

Am Freitag Abend bin ich mit Regula Haus-Horlacher und Daniela Hess in Bern aufgetreten, zwei ehemaligen Schülerinnen, die unterdessen eigene Bücher veröffentlichen. Das Gespräch war interessant, vor allem deshalb, weil drei vollkommen unterschiedliche Autorinnen unter all dem Unterschiedlichen eine ganz grundlegende Gemeinsamkeit erkannten. Nach der Vorstellung kam der Theaterleiter zu mir und erzählte, wie er seine Stücke schreibt, auch er hatte sich in dem Gesagten erkannt. Irgendetwas verbindet uns alle. Hinter dem was, wie und warum. Nicht das Resultat, sondern der Prozess. Nach vielen Jahren habe ich an diesem Abend wieder einmal aus „Möchtegern“ vorgelesen, den Anfang: Sie wollten alle dasselbe. Sie wollten ein Buch schreiben…..

Daran denke ich immer wieder, während ich meine Kurse leite, gestern und heute. Es bestätigt sich auch da: Etwas verbindet uns. Jemand, der schreibt, erkennt sich in jemand anderem, der schreibt. Das erklärt wohl auch, warum ich mich in den Aufzeichnungen von Max Frisch wiedererkannt habe. Der mir ausserdem ein unschlagbares Argument geliefert hat um die ewigen Zweifel der Schreibenden zu widerlegen, die denken, persönliche Aufzeichnungen seien per se nicht interessant, nichts wert, keine Literatur. „Sag das mal Max Frisch!“ Darauf gibt es nichts zu sagen, ausser: „Ich bin aber nicht Max Frisch.“  – „Lies seine Tagebücher“, sage ich dann. „Max Frisch war auch nicht jeden Tag Max Frisch!“

 

 

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5 Kommentare

Kommentare

  1. Sofasophia meint

    ein wohltuender, nachdenklich machender text über das pure, echte menschsein. danke!

    was für menschen es doch gibt, puh! und da glaubt man immer, die gibts nur in büchern … ;-)

    liebe grüsse, denise

  2. Regula Horlacher meint

    Gestern habe ich im Bund einen Artikel über Kuhhörner gelesen.
    Kühe ohne Hörner seien praktischer, es gebe weniger Verletzungen, da die Tiere nur noch „ginggen“ und beissen würden, statt ihr Hierarchie-Gerangel mit den Hörnern auszutragen, zitiert Katja Zellweger, die Autorin des Artikels, Stimmen von BEA-Besuchern. Sache ist die: Nur noch eine von zehn Kühen trägt heutzutage Hörner. Entweder werden sie als Jungtiere enthornt oder hornlos gezüchtet. Deswegen hat Armin Capaul, ein Bauer aus dem Berner Jura, vor ein paar Jahren eine Interessengemeinschaft „Pro Hornkuh“ gegründet, und jetzt plant er sogar eine Kuhhorn-Volksinitiative. Das gibt zu reden. Und hoffentlich auch zu denken. Capauls IG Hornkuh setzt sich für Direktzahlungen zum Erhalt der Kuh- und Ziegenhörner ein. Ein Franken pro Tag für jede behornte Kuh, je zwanzig Rappen pro behornte Ziege. „Es geht darum, diese Tiere zu schützen und ihnen den nötigen Platz für eine artgerechte Haltung zu garantieren“, sagt Capaul.
    Klar. Horntragende Kühe brauchen mehr Platz. Das leuchtet ein. Das Horn bedeutet Würde, es ist der natürliche Verteidigungs- und Kommunikations-apparat der Kühe, lese ich weiter. Hm. Wozu braucht eine Hauskuh einen „Verteidigungs- und Kommunikationsapparat“?? Sie bekommt doch alles, was sie braucht, sie muss sich ihren „Lebensunterhalt“ nicht auf der freien Wildbahn erkämpfen. Dafür wird sie jeden Tag gemolken – eine gerechte Sache. Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Der Anblick von weidenden Kühen war für mich von je her eine Selbstverständlichkeit. Für meine Freundin nicht. Sie lebte in der Stadt. Wenn sie zu mir zu Besuch kam, stand sie jeweils beinahe andächtig am Fenster im Wohnzimmer meines Elternhauses. „Kuh sollte man sein“, sagte sie dann manchmal und seufzte. Darüber konnte ich nur den Kopf schütteln: Ich erwartete etwas anderes vom Leben. Mehr. Dabei waren diese Kühe damals vor dem Haus meiner Eltern noch nicht einmal enthornt!

    Als ich anfing, mich mit dem Gedanken an eine Trennung von meinem Mann zu befassen, liess ich mir vom Beobachter-Verlag ein Ratgeberbuch zu diesem Thema kommen. Dort stand:
    „Die beiden Gatten sorgen gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften und Fähigkeiten, für den Unterhalt der Familie. Auswärtige Erwerbsarbeit, Haushaltführung und Kinderbetreuung sind gleichwertige Tätigkeiten. Frau und Mann verständigen sich selbst über Art und Umfang des Beitrags, den jede Seite leistet. Das Gesetz geht nicht mehr von einer bestimmten Rollenverteilung aus. Das eheliche Unterhaltsrecht ist geschlechtsneutral – die wirtschaftlich stärkere Seite schuldet der andern Unterhalt, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind.“ Das waren sie in meinem Fall nicht. Warum sollte mir mein Mann etwas schulden, wenn ich ihn im Stich liess? Ich machte meinen Job als Ehe– und Hausfrau nicht mehr, also hatte ich auch nichts mehr von ihm zu gut. Niemand bekam Geld für einen Job, den er nicht machte. So dachte ich damals. Und mein Mann auch, wie sich sehr rasch erwies, als mir nach zwanzig Jahren Friedfertigkeit so ganz unerwartet Hörner sprossen.

    Wolfgang Herrndorf macht sich im Blog-Tagebuch, das er während seiner verbleibenden Lebenszeit nach der Glioblastom-Diagnose („Raumforderung“ heisst ein Krebstumor in der Sprache der Ärzte – auch so ein Begriff, der einem den Magen umdreht, wenn man sich erlaubt, mal etwas näher darüber nachzudenken …) geführt hat, unter anderem Gedanken über das „Leben ohne Hoffnung“, das heisst, er fragt sich, ob ein Leben ohne Hoffnung überhaupt möglich ist. Was ist Hoffnung? Wozu braucht es Hoffnung? Im Augenblick zu leben, jeden Augenblick ganz und gar da zu sein, sich nicht vom einen zum nächsten hetzen zu lassen, das ist doch Lebensqualität, darüber sind sich nicht nur sämtliche Weltreligionen einig, sondern auch die sogenannten „Esoteriker“.
    Und genau das tut Herrndorf. Wann immer möglich macht er das, was ihm im Augenblick das Leben erleichtert, das, was er auch tun würde, wenn er keinen Krebs hätte: Er schreibt, er veröffentlicht, er fährt Rad, schwimmt, irrt in der Stadt umher – bis zuletzt. Dank einer Handvoll wunderbarer Freunde, die ihn gewähren lassen, ohne ihn mit ihren Sorgen um ihn zu belasten, die ihn in die Ferien mitnehmen, die ihm, der keine „Empathie“ verträgt, das geben, was er braucht: Unverblümte Ehrlichkeit. Die Frage nach der Hoffnung beantwortet Herrndorf nicht explizit. Dennoch habe ich beim Lesen dieses Vermächtnisses zu ahnen begonnen, was es mit der Hoffnung in Wirklichkeit, das heisst, ganz schonungslos betrachtet, auf sich hat, und dass Hoffnung höchstwahrscheinlich etwas ganz anderes ist, als das, was man gemeinhin annimmt. Jedenfalls etwas viel Komplizierteres und Tiefgreifenderes, als sich zum Beispiel an einen anderen Ort zu wünschen, wenn es einem, da wo man ist, nicht mehr gefällt.

    Während des Gesprächs am Freitagabend, das Milena im Input erwähnt, habe ich einen Fauxpas begangen, möglicherweise sogar einen Tabubruch: Ich habe mein Buch, an dem ich fünf Jahre lang gearbeitet und das ich, bis zum Zeitpunkt, da es definitiv in Buchform gebracht wurde, alles in allem dreizehnmal überarbeitet habe, mit einem frühverstorbenen Kind verglichen. Das tut man nicht. Einerseits, weil der Kummer, den die ausbleibende Beachtung eines Buches hervorruft, auch wenn noch so viel an Energie und Herzblut in dessen Entstehung gesteckt wurde, niemals an die Tragik heranreicht, die der Tod eines Kindes verursacht, und andrerseits, weil ein solches Bekenntnis einer Bankrotterklärung gleichkommt. Scheinbar. Denn das war es nicht. Es war nur ein Befreiungsschlag. Ich wollte, dass die Anwesenden, es waren nicht sehr viele, mit mir zusammen der Tatsache ins Auge blickten: Es ist möglich, dass ein Buch unmittelbar nach einem vielversprechenden Start sang- und klanglos untergeht und nie wieder auftaucht. Es ist möglich, dass die schlimmste für mich denkbare Möglichkeit, was dieses Buch betrifft, Wirklichkeit wird. Und dass es weh tut, sich diese Möglichkeit vorzustellen. Sehr weh tut. Ich weiss nicht mehr genau, wie die Frage lautete, auf die ich mit diesem Bekenntnis antwortete, ich weiss nur noch, dass es für mich in diesem Augenblick die einzig mögliche Antwort war, die ich geben konnte, ohne dass ich mich selbst hätte verleugnen müssen. Man kann Hoffnung nicht erzwingen. Entweder man hofft oder man hofft nicht. Im Moment hoffe ich nicht. Jedenfalls nicht auf das Wiederauftauchen meines ersten Buches in der Öffentlichkeit. Ich habe es ad acta gelegt. Ich lebe mein Leben als freischaffende Schriftstellerin von Augenblick zu Augenblick. Es ist das Einzige, was mir im Moment möglich ist, und so schlecht ist das ja nun auch wieder nicht, oder? Geht es doch in erster Linie um den Prozess, nicht um das Resultat! Der Weg ist das Ziel – man lebt schliesslich auch nicht nur, um irgendwann wieder zu sterben :-)

    Also: Was mir, dank der Lektüre von Wolfgang Herrndorfs Blog, meinem eigenen Erlebnis in Bern, Milenas Input und – nicht zu vergessen – Katja Zellwegers Bund-Artikel über die Kuhhörner, klar geworden ist, ist Folgendes:
    Das, worauf Hoffnung im Innersten abzielt, ist wohl, dass einem die Menschenwürde in jedem Augenblick des Daseins erhalten bleibt. Oder die Kuhwürde natürlich, wenn man eine Kuh ist.
    Und dass es halt schon sehr stark von den Mitmenschen abhängt, ob dieser Hoffnung Rechnung getragen wird oder nicht. Leider.

    • Hans Alfred Löffler meint

      Danke liebe @ Regula für „die Kuh“ die, vielleicht etwas ungewöhnlich, mein Lieblingstier ist, wirklich wahr. Ich muss gestehen, dass ich Kühe ohne Hörner nicht mehr als „Lieblings“ nennen würde, und trotzdem antworte ich immer noch auf die Frage, was ist Dein Lieblingstier? mit Kuh.
      Es könnte natürlich sein, dass ich durch meine „Leserei“ beeinflusst wurde, das Buch hiess „Blösch“ (von Beat Sterchi) erschienen 1991. Aber erst 2006 schrieb „ein Kunde“ von Amazon.de (Auszug)
      „Die Sprache und der Stil sind unglaublich, brechen mit allen Regeln und Bräuchen, man sitzt und liest und liest und glaubt es trotzdem einfach nicht. Mit Abstand eines der schönsten, schrecklichsten, intensivsten und genialsten Bücher, die ich je gelesen habe.“ PS: Das Buch „Blösch“ gibt’s auch ‚english‘ als „The Cow“ oder ‚en français‘ „La vache“ ect. pp.
      Zu Deinem ‚Baby‘ (es lebt, sogar in meinem Bett) welches „Das schwarze Sofa“ betitelt ist, hattest Du spontan etwas wie „totes Kind“ gesagt. Ja und? Es ist schon schwer etwas anderes zu sagen als tatsächlich gefühlt wird. Und noch schwerer wird es sein, das zu beschreiben, auch als Schriftstellerin.
      Leider? Nein! Es ist wie es ist und es kommt wie es kommt …

    • Regula Horlacher meint

      @Hans – Heute auf meinem Schreibtischkalender: „Lehre dein Kind nur Erfolg zu träumen und zu erwarten. Lang andauernde Erwartung dieses Erfolges bringt Ursachen, Mittel und Wege zu diesem Erfolg. (Prentice Mulford)
      Oder mit Milenas Worten: Alles kommt gut!
      Herzliche Grüsse
      Regula

  3. Hans Alfred Löffler meint

    Stimmt: Du bist nicht Max Frisch, nicht einmal seine Tochter. Irgend wo (wann?) hattest Du gefragt: hatte Max Frisch nicht eine Tochter? Doch, hatte er, sie schrieb auch, und Herr Isenschmid (Andreas?) hatte das Buch am 7. Juni 2009 besprochen (NZZ Kultur ***).
    Und ich „musste“ nach meiner Lektüre von „Aus dem Berliner Journal“ (von Max Frisch) doch noch „Sturz durch alle Spiegel“ (von Ursula Priess) lesen. Und werde Dich nun fragen, ob Du Dich in diesem „Vater/Tochter Buch“ auch „verbunden“ fühltest?
    Und auch sagen, dass „MÖCHTEGERN“ (von Milena Moser ****) für mich immer noch „Der Hit“ ist, toll, dass Du daraus vorgelesen hattest. LG: Hans
    ***> http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/uebersicht/vermurkste-bestandesaufnahme-1.2688953
    **** https://www.flickr.com/photos/yes2art/4554483374/

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