Wahnsinn. Voll.

dada-andre-breton-original And now, wie der Amerikaner sagt, and now for something completely different. Mal ganz was Anderes. Endlich kann ich es erzählen: In den letzten Wochen war ich an einem Projekt beteiligt, das meine Schriftstellerfreundin Katharina Faber in untypischer Grobheit als „das geilste, dyn010_original_520_363_pjpeg_2646967_24824af06a96dea119d1c184cbd9de03was ich je gehört habe“ bezeichnete. Und das kam so: Vor ein paar Wochen war ich bei Stella Palino zum Abendessen, und irgendwann spät (für meine Begriffe spät, also gegen 22 Uhr) tauchte Mattthias Dix auf, der Berliner Dramatiker, der seit Jahren (Jahrzehnten?) mit Stella zusammenarbeitet. Wir verstanden uns sofort, obwohl wir in absolut allem komplett gegensätzlicher Ansicht sind. Man könnte sich keine zwei unterschiedlicheren Schriftsteller denken. Er findet es eine Zumutung, wenn Autoren sich mit ihren Figuren identifizieren und ich will auf keinen Fall Figuren zuhören, die sich über Goethe unterhalten. Für ihn hört die Literatur mit Büchner auf, für mich fängt sie auf dem Fernsehbildschirm an. Trotzdem verstanden wir uns blendend, weil wir uns beide für das Schreiben interessieren, das Schreiben der anderen, erst recht das der anderen. Das eigene kennt man ja. Dabei wurde mir wieder bewusst, wie selten das ist. Ich kann das nur mit Katharina, dann aber bis zum Exzess: Wir reden beide gleichzeitig, wir reden über unsere Figuren wie über Familienmitglieder oder alte Freunde, die uns wieder mal zum Wahnsinn treiben und wir merken nicht, dass der Raum sich leert und die Zeit vergeht. Meist, es tut mir leid, wenn ich damit einige Illiusionen zerstöre, meist unterhalten sich Schriftsteller nicht über ihre Arbeit, sondern über die Ergebnisse dieser Arbeit, über Auflagenzahlen und Rezensionen. Es gibt nichts Langweiligeres, glaubt mir. Kein Wunder, bin ich immer um zehn schon müde!

Aber nicht an diesem Abend, an Stellas Kaminfeuer. Wir diskutierten, tranken noch ein Glas Wein, irgendwann wünschte sich Stella einen schönen Frauenmonolog. Fragte mich, ob ich so was schon mal gemacht hätte. Ich zuckte unverbindlich mit den Schultern, ich hatte ja genug zu tun. Aber dann verselbständigte sich diese Idee. Sie nahm sozusagen die Brille ab, löste die Haare, schüttelte sie, plötzlich war die Idee nicht mehr harmlos sondern schlicht umwerfend. Die Idee war eine Idee in der Idee: Was, wenn Matthias und ich je einen Frauenmonolog schreiben würden, ohne uns miteinander abzusprechen, ja ohne überhaupt Kontakt zueinander zu haben? Und was, wenn wir genau 14 Tage Zeit dafür hätten? Und was, wenn wir die Stafetten dann vollkommen unredigiert an an Stella und ihre Regisseurin Nadine Tobler weitergeben, die dann in wiederum genau 14 Tagen ein Stück aus den beiden Monologen schneidern würden?

Meine Müdigkeit war verflogen, Ich fühlte mich so beschwingt wie schon lange nicht mehr, als ich knapp den letzten Zug erwischte. Einzelne Gedanken von unserem Abend am Kaminfeuer waren hängengeblieben, Gesprächsfestzen, die Jahreszahl 1914, „ich will hier weg“. Sie weckten eine Schreiblust in mir, die mich in meine Anfänge zurückversetzte  an meine Buchhändlerjugend, an meine frühe Liebe zu den Dadaisten erinnerte. So entstand schnell eine namenlose Figur. Eine junge Frau, die es rein zufällig zu den Dadaisten verschlägt, die eigentlich nichts damit zu tun hat, die einen unbestechlichen Blick, eine unverbrauchte Sprache hat – und der gleich zwei meiner ATAZ (Absoluten Traummänner Aller Zeiten) in die Arme sinken würden: Francis Picabia und Walter Serner. Wie eine Frischverliebte stolperte ich durch die Tage, immer mit einem Fuss in einer anderen Welt – aber die Tage vergingen und ich schrieb nichts auf. Zwei Tage, sieben, zehn. Kein Wort, nichts. Warum nicht? Nicht, wiel ich keine Zeit hatte. Ich hörte nichts. Ich dachte nur. Ich dachte über meine Figur nach, aber ich hörte sie nicht denken. Geschweige denn Sprechen. Verzweifelt sass ich an Katharinas Küchentisch. „Ach was“, sagte diese. „Das schreibst du am Ende in zwei Tagen.“

Und so war es auch. Ich hatte schon eine Mail an Matthias angefangen, die mit dem Wort „Sorry“ begann – obwohl ich wusste, dass das keine Option war. Und weil das keine Option war, hörte ich plötzlich den Satz, mit dem alles angefangen hatte: „Ich wollte ja nur weg.“ So einfach war das. Zwei Tage, 48 Stunden, nichts anderes tun, nichts anderes tun müssen als Schreiben – da passt das Unwort wieder: Geil.

Kaum das letzte Wort geschrieben, als unsere Frist abgelaufen war. Matthias Text lag schon in meinem Briefkasten. Ich wagte nicht, ihn zu lesen bevor ich meinen abgeschickt hatte. Immerhin hat er schon 38 Theaterstücke geschrieben und ich erst eins, und das endete in einer Katastrophe, aber das ist wieder eine andere Geschichte. Jedenfalls las ich seinen Text während ich auf seine Antwort wartete. Sein Text ist – natürlich – vollkommen anders als meiner und doch finde ich in ihm Fetzen dieses Abends an Stellas Kamin. Ob und wie diese Fetzen oder andere miteinander verknüpft worden sind, werde ich im selben Moment erfahren wie das Publikum, diesen Donnerstag. Dann kommt das Ergebnis auf die Bühne.

http://www.palino.ch/daten/kontrapunkt.html.

Ich kann es nicht erwarten. Noch viermal schlafen.

 

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5 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Horlacher meint

    Ja, die Fetzen eines Abends –
    Ich gebe zu, ich hatte mich aufgedrängt. Ich war ein Möchtegern und wollte dazugehören. Die Runde, der ich mich anschloss, bestand aus drei Frauen und drei Männern, alles Schriftsteller. Sie sassen um einen Tisch, tranken Rotwein und sprachen miteinander. Unter freiem Himmel, nicht am Kaminfeuer, es war Sommer. Nun könnte man vielleicht denken, ich hätte mich damit begnügt, still dazusitzen und zuzuhören, aber so war es nicht. Ich gab mich selbstsicher und unbefangen, redete mit, führte manchmal sogar das Gespräch an. Die Schriftsteller waren nett, sie liessen mich gewähren. Einer von ihnen, dem ich bei einer anderen Gelegenheit schon einmal begegnet war, hatte mich vorgestellt: „Das ist Regula, eine junge Schriftstellerin.“ Das freute mich – immerhin war ich zu jenem Zeitpunkt schon achtundvierzig Jahre alt – und verschaffte mir eine Art Legitimation, mit an diesem Tisch zu sitzen, die niemand in Frage stellte.
    Obwohl sich die anderen untereinander, wie ich bald merkte, auch nicht viel besser kannten als mich, plätscherte
    das Gespräch nicht nur so dahin, es war interessant: Sie waren offen, plauderten sozusagen aus der eigenen Schreibküche, und ich – wurde kühn. Das ist gut, urteilte ich, und das ist nicht gut. Das sehe ich so und das, finde ich, sollte man anders machen. Als eine der anwesenden Frauen sagte, Schreiben sei das Arbeiten mit Versatzstücken, horchte ich auf und fragte nach: Versatzstücke – wie sie das denn meine? – Was man halt so mitbekommt jeden Tag, antwortete sie, auseinandergenommen und neu zusammengesetzt.
    Ich hatte es anders gelernt und anders erfahren. Bei mir kam alles, was ich schrieb, aus tiefster Seele und so musste es auch sein, glaubte ich. Mit Versatzstücken konnte ich nichts anfangen. Zum Glück war ich klug genug, diese Ansicht für mich zu behalten – doch ich blieb hin- und hergerissen. Ich hatte diese Schriftstellerin gleichentags lesen gehört, war voller Ehrfurcht und Bewunderung gewesen und nun fühlte ich mich irgendwie verraten: Ich war auf Versatzstücke hereingefallen!

    Zwei Jahre später kam ein neues Buch von ihr heraus. Das Schicksal machte es mir nicht leicht: Ich bekam es ausgerechnet von meinem früheren Ehemann zum fünfzigsten Geburtstag geschenkt. Ich wollte kein Geschenk von ihm! Was dachte er sich denn? Seit dreieinhalb Jahren lebten wir getrennt, vor einem halben Jahr hatten wir uns scheiden lassen. Konnte er mich nicht endlich in Ruhe lassen? Warum suchte er sich keine Freundin? Schliesslich war ich nicht die einzige Frau auf der Welt! Viel lieber hätte ich das Buch aus der Bibliothek geholt.
    Nach einer Weile siegte die Vernunft. Das Buch war ein Buch, nichts weiter, von wem ich es bekommen hatte, spielte keine Rolle, es stand dasselbe darin. Ich wollte es lesen, ich wollte wissen, ob die Schriftstellerin Versatzstücke von jenem gemeinsam verbrachten Abend verwendet hatte und wenn ja, wie sich das anfühlte. Ich beschloss, meinen früheren Ehemann aussen vor zu lassen, und mich nicht zu fragen, was er mir wohl durch die Blume mitteilen wollte, indem er mir dieses Buch schenkte: Es ging mich nichts mehr an, es interessierte mich nicht. Ausserdem hatte er mir während unserer Ehe immer wieder klargemacht, alles, was er sage, meine er auch genauso, wie er es sage. Er sprach sozusagen schwarz auf weiss, Unter-, Hinter- oder gar Zwischentöne kamen bei ihm nicht vor. Ich hatte mich zwanzig Jahre lang bemüht, ihm das zu glauben, jetzt musste ich mich nicht mehr bemühen, es durfte mir egal sein.

    Schon in der zweiten Geschichte stiess ich auf meinen dunkelroten Seidenschal. Das wunderte mich nicht. Ich hatte mich an jenem Abend weit auf die Äste hinausgelassen, sehr weit, und ich hatte mich nicht die ganze Zeit so gut im Griff, wie in dem Augenblick, als mich die Schriftstellerin über ihre Arbeitstechnik mit den Versatzstücken aufklärte. Ich war das, was man gemeinhin ein „Gefundenes Fressen“ nennt, und sie hätte die diffizile Lage, in die ich mich gebracht hatte, ausnützen können, ohne damit für sich selbst das geringste Risiko einzugehen. Sie hat es nicht getan. Sie hat den dunkelroten Seidenschal einer Frau umgelegt, die mir Ehre macht. Sie hat das Tragische an der Situation erfasst und ihm Rechnung getragen, indem sie die Frau samt Schal in eine dieser Tragik entsprechenden Umgebung versetzte. Sie ging mit dem an diesem Abend gesammelten Material um wie eine feinfühlige Fotografin: Sie lieh es sich aus und dankte dafür mit einer Verbeugung. Darum freut es mich sehr, dass es jetzt diese Geschichte gibt, in der mein dunkelroter Seidenschal vorkommt. Oder nein, ich will ehrlich sein, es ist mehr: Es berührt mich, ich bin dankbar, ich fühle mich in meinem Wesen verstanden – und das tut gut.

    • Regula Horlacher meint

      :-) Wer A sagt, muss auch B sagen. Oder in diesem Fall wohl eher, wer B sagt, muss auch A sagen. Schliesslich fand meine reale Begegnung mit dieser freundlichen Schriftstellerin, die ich meinerseits nun auch zur Hauptperson einer kleinen Geschichte gemacht habe, statt, bevor ich diese Geschichte über sie und ihre Geschichte, in der, wie ich behaupte, mein dunkelroter Seidenschal vorkommt, geschrieben habe … alles klar?

      Ich bin keine Draufgängerin. Ich begebe mich nur aufs Glatteis, wenn es absolut unumgänglich ist. Oder wenn ich mich in Sicherheit wiege. Das heisst, wenn mich irgendein blinder Fleck in meinem Gehirn der Fähigkeit beraubt, das Glatteis als solches zu erkennen. Das passiert mir leider manchmal. Meist dann, wenn ich mich bemühe, besonders gut aufzupassen. Nur ja jetzt keinen Fehler machen – und schon bin ich drin in der Falle …
      Normalerweise mache ich keine Rückzieher. Nicht aus Ehrgeiz oder besonderer Tapferkeit, ich weiss einfach nicht, wie man sich aus einer unangenehmen Situation, in die man sich gebracht hat, wieder befreit, ohne allzu grossen Schaden anzurichten. Deshalb warte ich dann halt jeweils wie HGW XX/7 im Film „Das Leben der Anderen“, bis die Tür von selbst aufgeht und ich den Keller verlassen kann. Dass ich grosse Angst habe, einmal mehr in einen solchen Keller zu geraten, ist, so hoffe ich, verständlich.
      Wer A sagt, muss auch B sagen. Wer B sagt muss auch A sagen. Der Name einer Schriftstellerin, der Titel einer Geschichte, in der ein dunkelroter Seidenstoff auftaucht, weil Schriftsteller nun mal nicht mit Holz, Speckstein, Mehl oder Zuckerguss arbeiten, sondern mit Gesehenem, Gehörtem, Wahrgenommenem. Erinnerungsfetzen, Versatzstücke.
      In meinem Roman „Das schwarzen Sofa“ spielt die Schultasche der Hauptfigur Lea eine wichtige Rolle, weil sie das letzte Geschenk ist, das Lea von ihrer geliebten Grossmutter bekommen hat, kurz bevor diese ganz plötzlich verstarb. Ich war der festen Überzeugung, diese Schultasche von Grund auf neu erfunden zu haben. Deshalb staunte ich nicht schlecht, als ich sie an einem Seminar-Klassentreffen auf einem alten Foto entdeckte. Ich hatte völlig vergessen, dass ich zu jener Zeit genau so eine Tasche besass, wie die, die ich fast dreissig Jahre später in meinem Buch beschrieb! Nur handelte es sich bei der von damals um eine Handtasche. Die Grösse war aber der einzige Unterschied.
      Das gab mir zu denken: Offenbar werden beim Schreiben Dinge an die Oberfläche gespült, ohne dass gleichzeitig auch die konkrete Erinnerung daran wieder wachgerufen wird, und dagegen ist man machtlos! Schreibend gebe ich also – ohne es zu merken, geschweige denn zu wollen – Dinge preis, die irgendwann Wirklichkeit waren, neu zusammengesetzt oder in neuer Kombination natürlich, aber doch aus dem Vorrat der eigenen Erinnerung stammend. Und da ich ja kein Roboter bin, sondern ein Mensch, sind es nicht nur die Versatzstücke allein, die aus der Versenkung aufsteigen, sondern auch die damit in irgendeiner Weise verbundenen Gefühle. Etwas anderes kann ich mir jedenfalls nicht vorstellen. Was es bedeutet aber schon: Nämlich, dass ich Verantwortung habe. Und diese Verantwortung nimmt mir die Tatsache, dass ich über das, was mein Unterbewusstsein an die Oberfläche spült, keine Kontrolle habe, nicht ab, im Gegenteil, sie ist der Grund dafür.

      Und jetzt? Nicht mehr schreiben? Wohl nicht – aber vielleicht, wie Charlotte Brontë heute auf meinem Schreibtischkalender mahnt, zweimal hinschauen, bevor man in Aktion tritt –
      Und sich seiner Verantwortung bewusst sein, das halt schon auch.

      Oh weh – nun hätte ich beinahe vergessen, worum es hier eigentlich geht … Nennen wir sie doch Eva, die freundliche Schriftstellerin, weil Eva „Leben“ heisst, „Lebensspenderin“. Denn, das hat sie doch getan mit ihrer Erzählung: Etwas aufgebaut. Etwas mit Liebe und Verständnis betrachtet, anstatt mit Selbstzufriedenheit und Häme. Hoffnung ermöglicht. Leben.
      Übrigens der Ort, den sie für ihre Geschichte wählte, war ein ehemaliges deutsches Konzentrationslager aus der Nazizeit, das heute ein Museum ist. Die junge Frau nahm dort an einer Führung teil.

  2. Hans Alfred Löffler meint

    Nachdem ich das Buch „Die Analphabetin, die rechnen konnte“ von Jonas Jonasson fertig gelesen hatte schaute ich mir noch die Rezensionen zu diesem Buch an, auf Amamzon.de sind es bis dato fast 600 (seit 15. November 2013); mit 5 Sternen bereits (fast) 300! Auch einen Kommentar fand ich zu einem Beitrag eines Literaturkritikers der geschrieben hatte: „Das ist keine Rezension, das ist ein Verriss!“.
    Als ich dann auch noch gelesen hatte, dass das einzige Theaterstück das Milena Moser geschrieben hatte in einer Katastrophe endete und der Link zum zweiten Stück nicht funktionierte, fühlte ich mich veranlasst einen funktionierenden Link zu Aufführung am 10. April 2014 zu posten, hier > http://www.palino.ch/daten/kontrapunkt.html < und zu erwähnen, dass die Links zu Katharina Faber, Stella Palino, Mathias Dix überaus nützlich sind. Dankeschön: * * * * *

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