Hug a writer!

images-1Oder: wie wunderbar, wenn erst mal alles schief geht! Zuerst war das Flugzeug kaputt, irgendein Licht blinkte, das nicht blinken sollte oder umgekehrt. Die Flugbegleiterin öffnete mehrmals die Tür um sie mit Nachdruck wieder zuzuschlagen, was am Ende der Startbahn nicht unbedingt vertrauenerweckend wirkt. Wir mussten also alle aussteigen und auf ein Ersatzflugzeug warten. Leider durften wir dazu nicht in der Sonne stehen bleiben, sondern wurden von einem Bus ein bisschen im Kreis herumgefahren. Darüber hätte man sich endlos aufregen können und einige Mitpassagiere taten das auch – der Gebrauch unserer Mobiltelefone war uns ja vorübergehend wieder gestattet. Mir hingegen gelang es bei dieser Gelegenheit, Federica de Cesco anzusprechen: „Ich bin ihr grösster Fan!“, stotterte ich. Ich glaube, ich verneigte mich sogar. Sie lächelte milde –  wie oft muss sie das schon gehört heben! Jeder, der mal ein 11jähriges Mädchen war, ist ihr grösster Fan. Ihr Mann begleitete sie, ein japanischer Fotograf, der ihr in einigen Romanen als Vorbild diente und meine beste Freundin und mich zu endlosen Diskussionen zur lebensentscheidenden Frage „Heiraten wir mal einen Indianer oder einen Japaner?“ inspirierte. Ein schönes Paar: Als sie beim Aussteigen stolperte, stützte er sie diskret, und mir ging das Herz auf. Überhaupt standen diese Tage irgendwie im Zeichen der Liebe. Auf der Messe sprach mich ein Mann an, der seine Frau durch einen Artikel kennengelernt hat, den ich vor etwa 24 Jahren geschrieben habe. Vier Protraits von alleinerziehenden Müttern, geschrieben von einer fünften, von mir. Ich erinnere mich gut an den Auftrag, es war der einzige in dieser Zeit, bei dem ich nicht ständig damit beschäftigt war, meinen Sohn still zu halten, während ich telefonierte oder einen Babysitter zu finden, wenn ein Treffen kurzfristig verschoben wurde. Bei dieser Geschichte war er immer dabei und die Kinder der Portraitierten auch. Jedenfalls verliebte sich ein Leser in eine dieser Frauen und sie sind bis heute zusammen – und wirken sehr glücklich.

Seufz.

Passend dazu liefen überall verkleidete junge Menschen herum, die Schilder mit sich herumtrugen, auf denen sie „Free Hugs“ also gratis Umarmungen versprachen. Und wenn ich etwas in Amerika gelernt habe, dann das: Man kann nicht oft genug umarmt werden. Also stellte ich mich gleich an.

Als ich verspätet am Ort meiner ersten Lesung ankam, wartete die Bibliothekarin seit Stunden auf mich – sie hatte meine SMS nicht bekommen. Das konnte ihr die Laune nicht verderben. Ich habe selten eine so engagierte Bibliothekarin wie Katrin Hisslinger kennengelernt. Sie hat ausserdem ein Buch mitverfasst, das mich die halbe Nacht wachgehalten hat. So trat ich die Zugfahrt zurück nach Leipzig mit tiefen Auenringen an. Dass ich das falsche Zugbillett gelöst hatte, wurde mir deshalb auch nicht übelgenommen. Im Hotel hatte man mich schon am Vorabend erwartet, was zu einiger Verwirrung geführt hatte, aber auch dazu, dass mein Zimmer schon bereit war und auf mich warete. Als ich am Nachmittag nach der Krimilesung mein Handy anschaute, war es voller panischer Nachrichten: Wo bist du? Im Hotel nicht eingecheckt, bei der Kirmilesung nicht  aufgetaucht…???? Diese Nachrichten waren zur selben Zeit hereingekommen, während der ich an besagter Krimilesung teilgenommen hatte. Es muss also auch in Leipzig mehrere parallel existierende Realitäten geben, nicht nur für die verkleideten jugendlichen Manga-Darsteller. Zwischen Krimilesung und Frauentheater hatte ich etwas freie Zeit, nicht genug um ins Hotel am Stadtrand zurückzukehren, aber genug, um Christoph Schulers Ausführungen über das Übersetzen von Comics zuzuhören – und von ihm eine Plastikspinne in die Hand gedrückt zu bekommen – manche Dinge ändern sich eben nie. Danke, Spiderman! Vor dem Frauentheater stand ich dann eine halbe Stunde im Foyer herum, während die anderen im Backstagebereich den Ablauf des Abends diskutierten und sich (vielleicht) fragten, wo ich steckte. Dabei hatte ich den jungen Frauen, Martina Clavedetscher und Anna Pabst, unbedingt vor dem Auftritt sagen wollen, wie leid es mir tat, dass ich mich so unelegang in einen Abend gedrängt hatte, der eigentlich ihnen gehören sollte. Ich weiss, dass mich das als junge Frau geärgert hatte. Allerdings war ich auch ein kämpferisches Ding damals, weit weniger gelassen als diese beiden Autorinnen, die mir nach dem Auftritt versicherten, es sei alles voll OK. Der Schauspieler, der tapfer den ganzen Abend bestritten hatte, so dass wir Frauen nicht ins Schwitzen gerieten, blieb der Heldenrolle treu und ergatterte irgendwo noch eine Flasche Wein für uns. Oder waren es zwei?

Am nächsten Morgen sollte ich um elf in der Autorenbuchhandlung auf der Messe Bücher signieren. Um viertel nach zehn stand ich in der Hotelhalle bereit, doch das Taxi kam und kam nicht. Panisch rief ich die Veranstalter an. Diese reagierten, so fand ich, etwas verhalten. Ich wunderte mich – bis ich um11. 01 ausser Atem eintraf und feststellte: Die Signierstunde, die in meinem Programm stand, war in der Buchhandlung gar nicht vorgesehen! Doch schnell war ein handgeschriebenes Schild improvisiert und tatsächlich tauchten auch zwei, drei Lesersinnen auf. Das abschliessende Gespräch am Schweizer Stand war dann nur noch schön. „Sollten Sie sich heute an dieser Veranstaltung verliebt haben, kommen Sie bitte in 24 Jahren wieder und erzählen es uns!“, sagte die Moderatorin.

Genau so machen wir es. Und in der Zwischenzeit umarmen wir uns.

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Leser-Interaktionen

3 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Horlacher meint

    Schande über mich!
    Anstatt es einfach zu geniessen, Milenas wunderbaren Bericht aus Leipzig lesen zu dürfen, hocke ich da und in meiner Brust tobt die Eifersucht! Warum nicht auch ich??
    Dabei weiss ich doch ganz genau: Eifersüchtig zu sein, hat schlicht keinen Sinn. Das Leben ist, wie es ist, durch Eifersucht ist noch nie etwas besser geworden, höchstens schlechter. Ausserdem ist es nicht nett, eifersüchtig zu sein. Man soll den anderen gönnen, was sie haben, und zufrieden sein mit dem, was man selber hat. Schliesslich hatte ich auch zu Hause einen schönen Sonntag. Einen sehr schönen. „Ruhe, Stille, Sofa und eine Tasse Tee geht über alles!“, schrieb einstmals Theodor Fontane. Ich hatte sogar noch mehr, nämlich etwas zu lesen. Ein Buch. Ich lese viele Bücher.

    Warum liest denn mein Buch niemand?

    Obwohl es nicht nur von Kanton und Gemeinde gefördert worden ist, sondern sich auch „ungemein flüssig liest und einen wider Erwarten rasch in seinen Bann zieht, der bis zum Schluss anhält“, wie die Berichterstatterin vom Lokalanzeiger leicht überrascht zur Kenntnis nahm, als es herauskam. Genau wie die Tatsache, dass zur Vernissage 70 Personen erschienen.
    Der Verlag macht keine Werbung, ja. Aber auch andere Kleinverlage machen keine Werbung für ihre Autoren, weil sie die Mittel dafür nicht haben. Trotzdem schaffen es deren Bücher irgendwie, ans Tageslicht zu gelangen. Vielleicht nicht alle, aber ein Teil. Unmöglich ist es also nicht.

    Warum nimmt MEIN BUCH niemand zur Kenntnis??

    „Einmal brachte Kain von seinem Ernteertrag dem Herrn ein Opfer. Auch Abel brachte ihm ein Opfer; er nahm dafür die besten von den erstgeborenen Lämmern seiner Herde. Der Herr blickte freundlich auf Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer schaute er nicht an.“

    Jetzt muss auch noch die Bibel herhalten – das wird ja immer besser. Seufz. Das Nächste ist dann wohl, dass ich Partei für Kain ergreife? Einen Brudermord rechtfertige?
    Nein. Selbstverständlich nicht. Mord ist nie entschuldbar. Ausserdem mag ich diesen unleidlichen, finsteren Kerl auch gar nicht.
    Nur frage ich mich halt schon: Was hätte es den lieben Gott gekostet, nicht nur Abel, sondern auch ihn mit einem freundlichen Blick zu bedenken? Nichts hätte es ihn gekostet, behaupte ich, rein gar nichts! Aber der Welt möglicherweise einiges erspart.

    Ich kenne eine Frau, die nach einer schweren Hirnblutung wieder Fuss im Alltag fassen musste. Das Schicksal hatte es ihr besonders schwer gemacht und ihr zu allem anderen Elend, das eine solche Krankheit mit sich bringt, auch noch die Kontrolle über ihre Affekte geraubt. Sie machte sich unmöglich, weil sie in den unpassendsten Momenten laut herauslachte und beleidigte Leute, weil sie sich nicht zurückhalten konnte, alles, was ihr in den Sinn kam, auch gleich auszusprechen. Es gibt wenig Menschen, die für so etwas Verständnis aufbringen können. Trotzdem hat sie nicht aufgegeben und mich mit ihrem Mut und ihrer Tapferkeit tief beeindruckt.
    „Weisst du“, sagte sie einmal zu mir, „manchmal ist es das Beste, man kocht sich erst mal etwas!“
    Das überzeugte mich. Kochen erdet. Und essen muss man ja auch, wenn es einem nicht gut geht. Dann erst recht.
    Darum gehe ich jetzt in die Küche. Es gibt Kartoffelsalat mit Peterli und Cornichonstückchen. Dazu Feldsalat und Rippli.
    Wie gehofft, fällt mir beim Schälen der heissen Kartoffeln, das, was ich für einen Augenblick vergessen hatte, wieder ein: Ich habe den schönsten Beruf der Welt. Ich bin Schriftstellerin. Ich schreibe den ganzen Tag. Der Weg ist das Ziel.

    Nur: Beim Auftritt der Schweizer Autoren in Leipzig wäre ich halt doch gern auch mit dabeigewesen – das schläckt ke Geiss wäg.

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