Worum geht es?

Old+&+Funny+Photos+of+Elephants+(4)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Ich habe doch schon einen Beruf. Einen schönen Beruf!“ Das war der Motto der letzten Woche. Ein Stossseufzer, in einem besonders angespannten Moment ausgestossen und von David, unserem Techniker extraordinaire aufgegriffen, der mich dann mehrmals täglich daran erinnerte: „Entspann dich. Du hast doch schon einen Beruf!“

Warum gehe ich auf die Bühne? Was habe ich dort verloren? Bei unserem ersten Programm kam ich noch mit der halb kokett, halb ernst gemeinten Antwort durch: „Weil Sibylle mich dazu gezwungen hat!“ Tatsächlich hätte ich es ohne ihren unerschütterlichen Glauben an meine Möglichkeiten nie durchgezogen. Und ich würde es auch ohne sie nie tun. Das zweite Programm ist aber kein Experiment mehr. Es ist ein bewusster Entscheid: Das machen wir.

Warum? Was zum Teufel hatte ich mir dabei gedacht? Weil ich nach den ersten zehn angsterfüllten Vorstellungen plötzlich anfing, Spass zu haben. Besonders an den Szenen, die mir am meisten Angst machten. War das wirklich ich, die da sang?? Ich konnte doch gar nicht singen! Oder doch? War ich etwa gar nicht die, die ich meinte? War ich noch viel mehr?

Das schien nun plötzlich ziemlich weit weg: Spass. Wir hatten sehr wenig Zeit, um unser zweites Programm zu entwickeln. Wir arbeiteten Tag und Nacht. Am einzigen probenfreien jagten wir unseren Kostümen nach, an einem Samstagnachmittag an der Zürcher Bahnhofstrasse, was unter den besten Bedingungen schon ein Albtraum ist. Das Licht in den Umkleidekabinen ist ja mit voller Absicht so eingestellt, dass man am Sinn seines Daseins zu zweifeln beginnt – geschweige denn am Vorhaben, so auf der Bühne zu stehen! Warum tue ich mir das an? Ich habe doch schon einen Beruf!

Vor der Premiere gingen wir essen. Ja, VOR der Premiere. Ich sehe ein, dass man sich stärken muss. Doch mir würde Astronautennahrung vollkommen reichen. Wir sassen im Restaurant mit einer schönen Speisekarte, ich schmeckte nur Karton. Aber da ich ganz in der Nähe des Theaters wohne, sagte ich einfach: „Ich komm gleich wieder!“ Und ging nachhause. Dort legte ich mich auf den Wohnzimmerboden, mit den Füssen an der Wand. Das ist eine Yogaübung: Viparita Kirani. Sie verspricht Entspannung und ewige Jugend, vorausgesetzt man hält sie mindestens 6 Stunden pro Tag ein. Das schien mir gerade eine prima Alternative zur Premiere, zur Bühne, zur Garderobe, zum Kostüm.

Das Telefon piepste: „Soll ich dich abholen?“ schrieb Sibylle. Ich stand auf und ging zum Theater.  Vom Rest des Abends weiss ich nichts mehr, bis zur Feier nach der Aufführung. Dort trank ich vor lauter Erleichterung so viel Prosecco, dass ich nicht sicher bin, ob ich den Heimweg alleine gefunden habe. Doch bei der zweiten, bei der dritten Vorstellung spürte ich es plötzlich wieder: Es macht Spass. Bin ich das, die da gschtabig und selbtvergessen über die Bühne tanzt? Ja, ich bin auch das.

Ich habe schon einen Beruf. Den schönsten Beruf der Welt: Ich springe jeden Tag vom Fünfmeterbrett.

 

Über die neuesten Blogbeiträge informiert bleiben

  • Dieses Feld dient zur Validierung und sollte nicht verändert werden.

Leser-Interaktionen

6 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Horlacher meint

    Ich bin ausgebildete Handarbeitslehrerin. Ich verstehe etwas vom Üben. Und ich verstehe etwas von Grundlagen. Ohne Grundlagen kann man nicht kreativ sein. Es macht keinen Spass, einen Sitzsack zu nähen, wenn sich die Fäden in der Nähmaschine ständig verknoten, weil nie jemand die Zeit und die Geduld aufgebracht hat, einem zu zeigen, wie man eine Nähmaschine richtig einfädelt. Hundertmal, von mir aus, bis man es begriffen hat.
    Es macht keinen Spass, ein Buch zu lesen, wenn sich einem Schrift, Wörter und Sätze nicht automatisch erschliessen. Es sei denn, man habe sich gerade entschlossen, persisch zu lernen und sei noch mit Feuereifer dabei. Aber das ist etwas Anderes.

    Kinder sind in der Schule selten mit Feuereifer dabei. Und noch seltener im Handarbeitsunterricht. Sobald man etwas muss, ist es nicht mehr so lustig. Es gibt natürlich Ausnahmen, aber nicht sehr viele. Die meisten möchten den Sitzsack mit nach Hause nehmen, bevor sie überhaupt damit begonnen haben. Das hat sicher etwas damit zu tun, dass sie die Zeit lieber mit Computerspielen oder vor dem Fernseher verbringen würden, anstatt damit, einen Sitzsack zu nähen, den man ebensogut kaufen könnte. Aber das ist nur ein Grund. Und noch lange nicht der Wichtigste, behaupte ich.

    Vor zehn Jahren waren meine Kinder in einem Alter, dass ich an einen Wiedereinstig ins Berufsleben denken konnte. Ich war vor meiner Heirat keine besonders gute Lehrerin gewesen, es war mir nicht gelungen, die Schüler im Zaum zu halten. Aber jetzt, da ich mich mit meinen eigenen Kindern ganz gut zurechtfand, würde ich doch bestimmt auch mit den Schülern im Handarbeitsunterricht klarkommen, dachte ich.
    Ich fand eine Stellvertretung für ein Jahr: Zehn Lektionen pro Woche, drei Sekundarschul- und zwei Kleinklassen. Ich bereitete mich sorgfältig vor. Ich wollte mit den Schülern Nähmaschinennähen. „Es geht nicht darum, einen besonders tollen Gegenstand mit nach Hause nehmen zu können“, sagte ich zu ihnen, „es geht darum, etwas zu lernen. In Mathematik habt ihr ja am Schluss auch nur ein vollgeschriebenes Heft und niemand denkt sich etwas dabei. Das ist der Vorteil des Handarbeitsunterrichts: Man lernt etwas und hat am Schluss erst noch etwas Schönes, um mit nach Hause zu nehmen.“
    Am Anfang ging es ganz gut. Im Nachhinein konnte ich mich nicht mehr genau daran erinnern, wann es kippte. Vermutlich kam der Wandel ja auch nicht plötzlich, sondern schlich sich langsam ein. So war es doch oft: Etwas bahnte sich an, und man wollte es nicht wahrhaben, bis plötzlich das Fass überlief.
    Die sechs dreizehnjährigen Kleinklassenjungen, drei Albaner, ein Italiener – Antonio – und zwei Schweizer, vollführten zwar ein Höllenspektakel, aber sie kamen trotzdem erstaunlich gut voran. Sie nähten, schnitzten sich eigene Stempel, mit denen sie Stoffe bedruckten, flochten Körbe aus Peddigrohr … Ich mochte sie ganz gern, und hatte eigentlich das Gefühl gehabt, es sei gegenseitig.
    „Die Jungens haben sich beklagt, du würdest Antonio vorziehen“, sagte ihr Klassenlehrer eines Tages.
    Ich verteidigte mich. „Aber sie quälen ihn doch! Ich helfe ihm nur, ich ziehe ihn nicht vor!“
    „Es kommt aber bei den anderen so an“, sagte der Lehrer.
    Darauf liess sich nichts erwidern.
    „Sie fühlen sich von dir wie kleine Kinder behandelt“, sagte die Lehrerin der Erst-Sek-Mädchen.
    „Ich verlange nur, dass sie sorgfältig arbeiten“, rechtfertigte ich mich.
    Die Lehrerin der Erst-Sek-Mädchen zuckte mit den Schultern. „Vielleicht versuchst du mal, ein bisschen weniger stur zu sein.“
    Dass die Schülerinnen der dritten Sek ständig schwänzten, machte die Sache nicht besser. Das taten sie zwar beim Klassenlehrer auch, aber trotzdem. Ich war froh, als das Jahr vorbei war, und ich gehen konnte. Wenigstens war ich nun sicher: Als Lehrerin konnte ich nicht arbeiten. Ich war nicht fähig dazu.

    Seit ich schreibe, komme ich manchmal auf Ideen, die ich noch vor ein paar Jahren nicht zu denken gewagt hätte. Zum Beispiel, ich könnte Recht haben. Mehr Recht als zum Beispiel die beiden oben erwähnten Lehrer. Welches Kind versucht nicht vom Papi zu bekommen, was ihm vom Mami verweigert wurde? Oder umgekehrt. Dieses Phänomen ist altbekannt. Und wer spielt nicht gern den verständnisvollen Papi?

    Ich wünsche mich nicht in die Schule zurück. Auch wenn ich jetzt weiss, dass ich keine so schlechte Lehrerin bin, wie ich immer glaubte. Es stimmt nicht, dass Wissen allein schon Macht ist. Ich kann mich zwar besser schützen, wenn ich etwas durchschaue, aber nur, weil damit meine Chance grösser ist, mich von Vornherein rauszuhalten, falls mir etwas nicht ganz koscher erscheint. Sobald ich nämlich wieder drin bin, verpufft die ganze Gewissheit, dass eigentlich ich es bin, die Recht hat. Warum das so ist, weiss ich nicht. Nur eben, dass es so ist.

    Die Versuchung, unbesehen auf Sprungbretter zu steigen, ist gross. Ich zwinge mich, im Voraus zu prüfen:

    1) Ist Wasser im Becken?
    Und wenn ja:
    2) Kann ich so gut schwimmen, dass es mir möglich ist, aus eigener Kraft den Beckenrand zu erreichen?
    Wenn nein:
    3) Ist jemand da, der mich rausholt?
    Und wenn ja:
    4) Kann ich mich darauf verlassen?
    5) Wirklich?

    Jedes Sprungbrett hat hinten ein Treppchen, habe ich früher geglaubt, über das man sowohl hinauf-, als auch jederzeit wieder hinuntergelangen kann. Was das Hinuntergelangen betrifft, bin ich inzwischen anderer Ansicht. Allzu oft ist mir nur das Ausharren geblieben.

  2. Richard Fischer meint

    Das Kleintheater zur TUCHLAUBE bietet den schmucken Rahmen für zauberhafte Momente – am Freitagabend habe ich zusammen mit meiner Schwester Kathrin unzählige derartige Augen-Blicke mit gelegentlichem Augenwasser auf den Backen geniessen können.
    Ihnen und Ihrer Freundin sage ich DANKE und freue mich nun auf meinen Schreibkurs am 23. März !

    Ps: Die AZ-Kritik vom vergangenen Samstag sollte nicht unwidersprochen bleiben – leider werde ich als regelmässiger Leserbriefschreiber bei der AZ-Redaktion gelegentlich bestritten, aber ich bleibe auch als (ein) Unvollendeter dran ! :-)

    • Hans Alfred Löffler meint

      Liebe Regula, ich denke, dass die „Treppchen“ hinauf zum Sprungbrett nur zum Sprung führen, wenn Du anders denkst, meinst oder glaubst, hast Du zwar Recht, aber bist eben nicht gesprungen!

    • Regula Horlacher meint

      Sag ich ja – wenn kein Wasser im Becken ist, springe ich nicht, auch nicht vom Einmeter.
      Findest Du das überängstlich? Ich nicht. Nur vernünftig :-)

  3. Hans Alfred Löffler meint

    Sie setzte einen Fuß vor den anderen, das Brett wippte mit ihr mit, es schien sie anzufeuern, bis ihr Fuß ins leere stieß. Die Luft rauschte an ihr vorbei, Poppy riss die Arme hoch, streckte die Beine im Flug, brach durch die die harte Wasseroberfläche und tauchte tief, tief herunter. (Seite 292 aus MONTAGSMENSCHEN von Milena Moser … und dann war Applaus, Applaus, erst morgen, nach 20 Uhr in Zürich, und wenn Sie auch mal tauchen wollen, dann lesen Sie das Buch oder ein anderes von Milena Moser, und reservieren Sie einen Platz für die nächste oder übernächste Vorstellung, oder beides oder alles, I love Poppy, sagte ich schon, yes!)

An der Diskussion teilnehmen

Hier können Sie Ihren Kommentar schreiben. Ihre Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * bezeichnet.