Ueberlebensstrategie:

1010355_10200413346398030_31970763_nEndproben. Das Wort sagt alles. Ich probe, ich bin am Ende. Warum, das weiss ich nicht genau, ich bin hartes Arbeiten gewohnt. Vielleicht, weil ich nie allein bin? Weil es so emotional ist? Schliesslich arbeiten wir mit allem, was wir haben. Was wir sind. Das tue ich beim Schreiben zwar auch, aber eben, erst mal unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Ich stehe jeden Morgen um sieben auf, obwohl die Probe erst um halb zehn beginnt und komme dann noch meist zu spät. Ich übe die Stellen, über die ich gestern gestolpert bin. Wünschte mir, die Regisseurin könnte sehen, wie prima ich alles hinkriege, frühmorgens in meinem Wohnzimmer! Scheisse, schon so spät? Ich wollte vor der Probe noch einkaufen…  Egal! Es regnet. Reicht es wenigstens noch, um ein Sandwich zu kaufen für die Mittagspause? Abends um fünf trinken wir noch ein Bier im Bahnhofbuffet, hängen in den Stühlen wie die Langstreckenläuferinnen bei Handke. Hinter uns liegen alle denkbaren Emotionen zwischen Euphorie und Verzweiflung und auch ein paar, von denen ich in fünfzig Jahren nichts wusste. Manchmal verpasst Sibylle einen Zug, dann trinken wir noch ein Bier. Wir reden über nichts anderes als über unser Programm. Unsere ganze Welt dreht sich darum, beschränkt sich auf diese Stunden. Diese Besessenheit ist beglückend und beängstigend zugleich. Dann nachhause. Text ändern, Text lernen. Ich war die ganze Woche nicht einkaufen und habe auch das Paket aus Bülach (Bülach? Was ist in Bülach?) nicht von der Post abgeholt. Meine Wohnung sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen und in meinem Kühlschrank finde ich nur Chicken Nuggets und Pingu Schnitten und andere Dinge, die ein Teenager einkauft, wenn man ihm keine genauen Instruktionen gibt. Ich bestelle Pizza. Beschliesse, zur Erholung ein bisschen fernzusehen und schlafe dabei ein.

Rinse and repeat

Aber es gibt etwas, das mich hält in dieser wahnsinnigen Zeit. Und das ist der Bürzi. Diese grossartige Stickerei, die mir meine Freundin und Bühnenpartnerin Sibylle Aeberli zum fünfzigsten Geburtstag geschenkt hat. Der Bürzi ist mein mobiles Mantra geworden. Er iegt auf meinem Bett, in Aarau, in Santa Fe, manchmal sogar in einem Hotelzimmer. Und weil der Bürzi auf meinem Bett liegt, mache ich mein Bett. Jeden Morgen. So einfach.

Ihr werdet mich auslachen – ihr kennt diesen Trick bestimmt, seit ihr dem Kinderbett entwachsen seid. Ich nicht. Ich gebe es zu.

Diese Insel im alltäglichen Chaos beruhigt mich. Sie zwinkert mir zu, wenn ich vollkommen heruntergehubert nachhause komme. Doch, doch, du hast es  durchaus im Griff, sagt mir das gemachte Bett. Du hast dich nicht verloren, du löst dich nicht auf.

Und wenn das nicht reicht, dann sage ich mir das Mantra halblaut vor. Dreimal. Das hilft immer.

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2 Kommentare

Kommentare

  1. Regula Horlacher meint

    Endproben. Endphase – ich komme nicht darum herum.
    Letzte Woche habe ich kommentarschreibend einen schönen Ausflug in die Bibliothek meiner Kinderzeit unternommen, ich war selber ganz begeistert davon, doch was geschieht – er geht im World Wide Web unter, ist da und doch nicht da. Mein Modem, haben mir die Leute von der Cablecom geschrieben, sei veraltet, sie hätten mich schon im September darüber informiert. So wird es wohl sein, erinnern kann mich nicht daran. Nun warte ich auf das Päckchen, das mir das neue – Zitat: „natürlich kostenlose“ – Modem bringt. Mein Altes, schreiben sie weiter, werde spätestens 24 Stunden nach Erhalt des Neuen automatisch deaktiviert. Im Klartext: Die Verbindung wird gekappt. Peanuts. Wer nicht hören will, muss fühlen. „Bisher haben Sie noch nicht von unserem Angebot profitiert, Ihr derzeitiges Modem direkt in unserem Shop zu tauschen.“ Jetzt ist es zu spät. Ich habe keine Ahnung, wo sich dieser „Shop“ befindet und das Päckchen ist möglicherweise schon unterwegs. Oder auch nicht.

    Zurück zur Endphase …

    Ich wüsste zwar auch zum Theater etwas zu sagen und zu Peter Handke. Beides im selben Atemzug. Als ich vierzehn war, lasen wir im Deutschunterricht Handke und übten „Emil und die Detektive“ ein. Ich war in beidem nicht sehr erfolgreich und habe seitdem sowohl von Handke als auch vom Theaterspielen sicherheitshalber die Finger gelassen.

    Aber die Endphase …

    Nun denn. Ich muss etwas eingestehen: Ich habe gemerkt, dass es noch eine andere Möglichkeit gibt, sich das Leben vorzustellen, als wie ich es mir bis anhin vorgestellt habe. Seit ich mich erinnern kann, war ich davon überzeugt, einem Weg zu folgen. Jetzt erst ist mir aufgegangen, dass das Leben wohl eher mit einer Scheibe vergleichbar ist, auf der man umhergeht, als mit einem Weg, dem man folgt. Ihr seid sicher schon längst auf diese Idee gekommen, oder habt euch gar nie etwas anderes gedacht. Ich hingegen fand es völlig normal, immer wieder in dieselben Situationen zu geraten. Zwar variierten sie natürlich ein bisschen – anderer Schauplatz, andere Personen – aber im Prinzip war es immer wieder dasselbe. Ich dachte, na ja, dann muss ich da eben noch einmal durch, offenbar habe ich es das letzte Mal nicht gut genug gemacht. Erst jetzt wird mir klar, dass ich in der Meinung, es sei mein Weg, vermutlich einfach immer im Kreis herumgegangen bin … dabei gäbe es doch auf dieser Lebens-Scheibe noch so viel anderes zu sehen! Aber ich hatte wohl Angst, mich zu verirren und dem bösen Wolf zu begegnen, wenn ich mich vom Weg entfernte …

    Was hat mich denn jetzt auf einmal dazu gebracht umzudenken? Ein Buch. Ich habe „Mitsommertode“ von Daniela Hess gelesen. Ein ganz gewöhnlicher Kriminalroman, dachte ich zuerst, eine Geschichte von A nach B. Ein bisschen unbeholfen erzählt vielleicht, ein Erstlingswerk eben – das dachte ich auch, muss ich zu meiner Schande gestehen.
    Seit ich selber schreibe, bin ich misstrauischer geworden, man kann mir nicht mehr einfach alles auftischen. Drei (DREI!) leicht verschrobene Männer mit langen Haaren, die ihnen zu Pferdeschwänzen oder Zöpfen gebunden über den Rücken fallen in einem Buch? Geht das? Ebenso viele auffallend schöne Frauen mit langem, glattem, schwarzem Haar – wenn man sich die mit den dunklen Augen auch schwarzhaarig vorstellt, sind es noch zwei mehr! – Wie soll man die unterscheiden? Und überhaupt: Diese vielen Nebengeschichten, die lenken doch vom Wesentlichen ab!
    Logisch betrachtet hätte dieser Roman ein einziges riesengrosses Durcheinander sein müssen. Das war er aber nicht. Ich hatte ihn nicht nur gelesen, ohne mich ein einziges Mal zu langweilen, sondern auch ohne ein einziges Mal über etwas zu stolpern, das den Lesefluss behindert hätte! Eigenartig. Ich versuchte, einzelne Nebengeschichten wegzudenken, die vielen schwarzhaarigen Schönen zu einer einzigen zusammenzufassen – doch abgesehen davon, dass mir das ohnehin nicht gelang, geschah etwas Verblüffendes: Die Geschichte kam mir plötzlich vor wie eine grosse Scheibe aus hauchdünnem Eis, die ich in den Händen zu balancieren versuchte, und die, kaum geriet sie ein wenig aus dem Gleichgewicht, zu zerbrechen drohte und an den Rändern zu bröckeln begann. Ein deutliches Bild und eine klare Warnung: An dieser Geschichte gibt es nichts zu rütteln, sie ist genau so, wie sie sein muss!
    Ich las das Buch ein zweites Mal. Tatsächlich: Diesmal konnte ich das Gefühl, einem roten Faden zu folgen, spüren und am Schluss stellte sich in meinem Kopf das Bild eines Gesamtüberblicks ein, als wäre dieser Isländische Zeltplatz eine grosse Tischdecke im Freien, auf der ein reichhaltiges Picknick angerichtet ist. Ein Picknick ganz allein für Daniela … und für uns Leser, da sie ja ein Buch geschrieben hat und uns daran teilhaben lässt. Zielsicher führt sie einen an den Schüsseln und Platten vorbei, schöpft da einen Löffelvoll auf ihren Teller, nimmt dort ein Häppchen und isst es gleich im Stehen … wunderbar!
    Da dachte ich plötzlich: Wenn Daniela so ein Picknick in ihrem Kopf hat, dann habe ich ja vermutlich auch eins, dann hat ja vermutlich jeder Mensch eins, und nicht nur einen Weg, der ihn noch einmal und noch einmal am Immergleichen vorbeiführt … Diese Einsicht machte mich glücklich, aber gleichzeitig auch unglücklich: Wie viel hatte ich wegen meines sturen Blicks auf den Weg unter mir in all den Jahren übersehen! Schon mehr als die Hälfte des Lebens vorbei, keine Chance also, diesen plötzlich aufgetauchten Reichtum in der verbleibenden Zeit noch ganz auszuschöpfen! Die Milch würde sauer werden, der Käse schimmlig. Das Mokka-Eis würde zerlaufen. Welche Verschwendung!

    Meine Grossmutter starb achtundsiebzigjährig mitten im Abendessen. Sie liess einen halben Cervelat zurück und ein angebissenes Stück Brot. Und einen Sonntags-Braten in der Gefriertruhe. Bestimmt hätte sie uns dazu eingeladen, nun mussten wir ihn selber kochen.
    Meine Grossmutter stand mir sehr nahe. In den Tagen nach ihrem Tod hatte ich das sehr reale, aber nicht beschreibbare Gefühl, ihr Geist würde mich umgeben. Dann war auch das vorbei. Wo sie jetzt wohl sein mag? Dreiundzwanzig Jahre sind seit ihrem Tod vergangen. Ich vermisse sie immer noch. Doch in letzter Zeit hat sich mein Leben recht friedlich eingerichtet mit lieben Schwiegerkindern, einer Handvoll neuen Freunden. Der Mutter geht es auch wieder besser als noch vor einem halben Jahr. Alles im Gleichgewicht, sollte man meinen, und so könnte es doch jetzt eine Weile weitergehen. Nichts da. Neue Krankheitsmeldungen treffen ein. Schlimme. Diesmal der Vater. Die Scheibe gerät in Schieflage. Es bröckelt. Schnell geht das. Die Versuchung, den Blick wieder auf den Weg zu heften ist gross, schliesslich ist es normal, dass ein Mensch mit achtzig unheilbar krank wird, damit muss man rechnen …
    NEIN. Erstens ist er noch lange nicht achtzig, noch nicht einmal neunundsiebzig, und heutzutage ist es genauso normal mit sechsundneunzig an einem Herzschlag sterben – Haguschtärne! Danke, Daniela, für die Gesichtsfelderweiterung!

    Übrigens muss ich der Gerechtigkeit halber noch anfügen: Inzwischen ist das neue Modem gekommen. Ich habe es geschafft, die Kabel richtig und rechtzeitig anzuschliessen, die Verbindung wurde nicht unterbrochen. Gekostet hat es nichts.

  2. Hans Alfred Löffler meint

    Aus Bülach? Im Paket? Sicher kein Glas, es wird schon lange nicht mehr geblasen dort, der Ofen ist aus, nach 111 Jahren. Aber ein Piano vielleicht, dort hat es jede Menge davon, am meisten gefallen hatte mir eine Frau welche die Hämmer welche mit gepresste Merino Wolle überzogen waren mit einem Stichel bearbeitete. Damit der Anschlag der Hämmer auf die Saiten ganz, ganz wenig gebremst wird, damit beim Pianissimo es eben säuselt und trotzdem beim Fortissimo es nicht knallt sondern donnert. Eigentlich war ich ja wegen den Saiten dort, in Bülach, mit technischen Fragen.
    Saiten, irgendwie schaffst Du es immer die richtigen anzuschlagen, bei mir. Vielleicht bin ich „zart besaitet“ oder „zu nahe am Wasser gebaut“, denn Überraschendes kann wie Trauriges Tränen fliessen lassen, ohne Weiteres und überall, auch als Gast, als ich das Ende Deines „Das wahre Leben“ erzählte plötzlich würgte und stockte. Eine Frau am Tisch fragte: „war es Dante?“ und ich: „sniff, schneuz … wahrscheinlich schon, aber ich weiss das doch nicht, aber wahr ist es schon …“
    Und noch ein modernes PS: Dein Mobiles Mantra ist auch meins, als Hintergrund auf dem Handy, mit lieben Grüssen an Sibylle Aeberli, die StrongBesaitete.

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